Wien mobil Station mit Elektorauto und Fahrrädern in Wien Währing.

© Wiener Linien / Severin Wurnig

Wichtige Potenziale unausgeschöpft: Lücken in Österreichs Klimapolitik

Überblick

  • Zahlreiche Klimamodelle berechnen, wie Klimaneutralität erreicht werden kann. Sie gehen davon aus, dass die Nachfrage, etwa nach Energie, immer weiter steigen wird. Allerdings beachten sie nicht, dass es auch möglich wäre, nachfrageseitige Emissionen einzusparen.  
  • Ein Team der Universität Wien untersucht in einem interdisziplinären Projekt mit der Universität für Bodenkultur, wie sich die Emissionen unterschiedlicher Haushaltsgruppen in Österreich in den letzten 30 Jahren entwickelt haben und wo Potenziale für nachfrageseitige Klimapolitik liegen. 
  • Dabei liegt ein besonderer Fokus auf den Bereichen Verkehr und Wohnen – zwei Bereiche, wo die meisten Emissionen eingespart werden könnten. Gemeinsam mit unterschiedlichen Stakeholdern werden Vorschläge für Alternativen formuliert.

Um die österreichischen Klimaziele bis 2030 erreichen zu können, müssen massiv Emissionen eingespart werden. Dabei wird in gängigen Klimamodellen zur Emissionsberechnung kaum auf systematische Veränderungen auf Haushaltsebene geachtet. Um besser zu verstehen, wie sich die in Österreich bisher gesetzten klimapolitischen Maßnahmen auf Emissionen von Haushalten auswirken, und welches Potenzial es für emissionssparende Maßnahmen gibt, widmen sich Politikwissenschafter*innen der Universität Wien einer umfangreichen Analyse der Klimapolitiken zwischen 1995 und 2024.

Im Projekt „FOCAL-points“, das vom Austrian Climate Research Programme (ACRP) gefördert wird, arbeiten die Politikwissenschafter*innen Alina Brad, Etienne Schneider und Carolin Hirt von der Universität Wien eng mit dem Institut für Soziale Ökologie der Universität für Bodenkultur zusammen. „Unsere Forschungspartner*innen haben sich angesehen, wie sich die Emissionen von Haushalten in Österreich in den vergangen fast 30 Jahren in unterschiedlichen Bereichen entwickelt haben“, so Alina Brad. Die Haushaltsebene sei bei gängigen Modellen zur Emissionsreduktion bislang viel zu wenig berücksichtigt, obwohl es hier viel Potential zur Reduktion von Emissionen gibt. „Daher haben wir uns mithilfe dieses Datensatzes angesehen, wie sich diese Emissionen vor dem Hintergrund verschiedener klimapolitischer Maßnahmen zwischen 1995 und 2024 entwickelt haben“, erklärt die Politikwissenschafterin.

Avoid – Shift – Improve

Die Politikwissenschafter*innen analysierten 365 Maßnahmen in diesem Zeitraum, die auf Emissionsreduktionen in den Bereichen Wohnen und Verkehr von Haushalten abzielen. Diese unterschiedlichen Maßnahmen klassifizierten die Wissenschafter*innen nach dem „Avoid, Shift, Improve-Modell“, also nach den Kategorien Vermeiden – Verlagern – Verbessern. Eine Maßnahme, die auf Vermeidung – also Avoid – abzielt, ist etwa das Konzept der Stadt der kurzen Wege. „Statt lange Wege zur Arbeit oder Nahversorgung zurücklegen zu müssen, ist Vieles in der nahen Umgebung verfügbar. So könnten viele Emissionen im Alltag, etwa durch häufige Autofahrten, vermieden werden“, erläutert Brad. In Wien beispielswiese sei diese Idee in der Stadtplanungsstrategie berücksichtigt. Ein Shift, also eine Verlagerung, findet beispielsweise statt, wenn Menschen statt des Autos ein Fahrrad oder öffentliche Verkehrsmittel für ihre üblichen Wege nutzen. „Improve, also eine Verbesserung, wäre hingegen etwa, dass kleinere Autos oder Autos mit effizienteren Verbrennungsmotoren gefördert werden“, so die Politikwissenschafterin. 

Dabei wurde deutlich, dass Österreich sehr stark auf Förderinstrumente setzt, die meist auf „Improve“ oder „Shift“ abzielen. Diese Erkenntnis erhärtete sich nochmals in Expert*inneninterviews mit politischen Entscheidungsträger*innen. „Diese Art von Förderpolitik ist fundamental davon abhängig, wie groß die Budgets für die jeweiligen Klimapolitiken sind. In dem Untersuchungszeitraum gab es beispielsweise zahlreiche Förderungen im Gebäudesektor für Eigenheimbesitzer*innen“, sagt Alina Brad. „Auch gab es Förderungen für die Anschaffung von E-Autos“, so Etienne Schneider. „Dabei wurden aber hauptsächlich wohlhabendere Haushalte angesprochen, die sich oft ein zusätzliches Auto anschaffen, wodurch wesentliche Einsparungspotenziale verschenkt werden.“

Suffizienzrat

Insgesamt wurde deutlich, dass sich die Politik kaum an Avoid-Maßnahmen herantraut, die aber ein viel größeres Potential zur Reduktion von Emissionen haben. „Vor diesem Hintergrund haben wir angefangen uns zu überlegen, wie die Potenziale für Avoid-Maßnahmen von verschiedenen Interessensvertretungen mit Blick auf ihre soziale Verträglichkeit bewertet werden“, so Schneider.

Daher veranstaltete das Forschungsteam einen sogenannten Suffizienzrat.  Unterschiedliche Stakeholder*innen wurden dazu eingeladen, mögliche Avoid-Maßnahmen zu evaluieren. Zu dieser Veranstaltung kamen Vertreter*innen der Stadt Wien, der Arbeiterkammer und des Österreichischen Gewerkschaftsbunds, sowie NGOs aus dem sozialen Bereich und Interessensvertreter*innen von Alleinerzieher*innen, Menschen mit Behinderung und Wohnungssuchenden.  

„Auf Basis unserer Policy-Analyse stellten wir dieser Gruppe verschiedene Vorschläge zu Avoid-Maßnahmen vor, die Emissionsausstöße bedeutend verringern könnten“, so Alina Brad. Im Hinblick auf den Gebäudesektor wäre ein Beispiel etwa die Umnutzung von Leerstand, um Neubau, der in der Regel mit vielen Emissionen einhergeht, zu vermeiden. „Diese Vorschläge wurden dann von den teilnehmenden Stakeholder*innen diskutiert und weiterentwickelt. Sie überlegten sich etwa, wie diese Vorschläge konkret ausgestalten werden müssten, um sozial akzeptiert und politisch umsetzbar zu sein“, ergänzt Etienne Schneider. Dabei gab es insgesamt eine recht große Skepsis gegenüber Avoid-Maßnahmen, die die gesamte Bevölkerung treffen würden. „Dieser Ansatz differenziert nicht zwischen einkommensstarken Haushalten mit hohen Emissionen und jenen, die am unteren Ende des Einkommensspektrums sind und ohnehin deutlich weniger Emissionen ausstoßen“, erklärt Schneider. Zudem gab es ein großes Bedenken gegenüber Maßnahmen, die sich als Verzicht framen lassen. „Das ist das Einfallstor für rechte Politik gegen Klimaschutz. Angesichts des gegenwärtigen Aufstiegs rechter Parteien empfand der Suffizienzrat es als kontraproduktiv, Maßnahmen vorzuschlagen, die genau diese Argumentationslinie befeuern könnten“, so der Politikwissenschafter.

Ungleichverteilung der Emissionen

Vielmehr sollte es in Richtung Vermeidung von Luxusemissionen gehen. „Hier gibt es Diskussionen zum Verbot von Privatjetflügen, oder Abgaben für Vielflieger“, erklärt Schneider. „Solche Maßnahmen würden nur bestimmte Teile der Bevölkerung treffen, die auch überproportional für Emissionsausstoß und die dadurch verursachte Klimakrise verantwortlich sind“. So zeigen die im Projekt erhobenen Emissionsdatensätze, dass das obere Einkommensfünftel in Österreich konstant und über alle Sektoren hinweg doppelt so viele Emissionen ausstößt wie die unteren beiden Einkommensfünftel zusammen. „Das ist ein extremer Unterschied, schon innerhalb von Österreich. Global betrachtet ist dieser Unterschied zwischen verschiedenen Einkommensgruppen noch viel krasser“, so der Politikwissenschafter. Sinnvolle Maßnahmen sollten also eher darauf abzielen, diesen überproportionalen Verbrauch zu treffen, und nicht alle Menschen gleichermaßen. Die CO2-Bepreisung trifft einkommensschwache Haushalte im Verhältnis viel stärker als einkommensstarke: „Emissionsintesive Produkte werden teurer, aber das obere Einkommensfünftel kann sich das ohnehin leisten, während die unteren dadurch überproportional belastet werden. Hier bedarf es Maßnahmen, die diese verteilungspolitischen Gesichtspunkte mitbedenken und gezielt darauf fokussieren, Luxuskonsum zu verringern“, meint Schneider.

Strukturelle Hürden

So gibt es aktuell etwa kaum politische Maßnahmen mit dem Ziel, den Flugverkehr zu verringern.  Emissionen, die im internationalen Flugverkehr entstehen, werden einzelnen Ländern nicht angerechnet. Dementsprechend wenig Anreize gibt es, diesen Bereich zu adressieren. Hierbei wäre laut den Politikwissenschafter*innen die Gesetzgebung auf EU-Ebene gefragt. „In Österreich ist es generell so, dass Klimapolitiken erst umgesetzt werden, wenn es Vorgaben von der EU gibt, die innerhalb eines bestimmten Zeitraumes erfüllt werden müssen“, so Alina Brad. Das setze sich dann auch auf Bundes- und Länderebene fort. „Zudem wird Klimapolitik vielfach nicht integriert gedacht, was dazu führt, dass in anderen Politikbereichen viele Maßnahmen gesetzt werden, die für die Erreichung der Klimaziele kontraproduktiv sind“, so Etienne Schneider. So haben einzelne Gemeinden in Österreich etwa die Kompetenz zur Umwidmung von Flächen, etwa um Einkaufszentren dort anzusiedeln. „Das ist im Interesse der Gemeinden, da sie dadurch mehr Steuereinnahmen generieren können. Aus klimapolitischer Perspektive sind die damit verbundene Zersiedlung, Neubau und Bodenversiegelung jedoch höchst problematisch“, fügt Alina Brad hinzu.

„Auch die Struktur der Ministerien selbst, die unterschiedliche Ressortzuständigkeiten haben, trägt dazu bei, dass Maßnahmen nicht konsequent nach klimapolitischen Gesichtspunkten durchdacht werden“, meint Etienne Schneider. „Darüber hinaus leben wir in einem auf Wachstum ausgerichteten Wirtschaftssystem, wodurch in der aktuellen Budgetkrise das Ankurbeln der Wirtschaft, etwa durch die Förderung der Bauwirtschaft, als oberste Priorität gilt. Die Frage danach, was das klimapolitisch bedeutet, wird dabei verdrängt“. Da Avoid-Maßnahmen kapitalistische Profitinteressen direkt gefährden – was bei bei Shift und Improve-Maßnahmen nicht der Fall sei – liege hier eine zusätzliche Hürde für deren Umsetzung. Das sei zumindest einer der Gründe, warum es so wenige davon gäbe. „Natürlich gewinnen die Menschen an Lebensqualität, wenn sie weniger Pendeln müssen und der Verkehr in den Städten reduziert wird. Aber wenn beispielsweise E-Autos gefördert werden, profitiert davon eine Branche, genauso wie wenn Eigenheime saniert werden. Wenn Konsum selbst reduziert wird, steht das im Widerspruch zur dominanten Orientierung unseres Wirtschaftssystems“, so Alina Brad.

Klimapolitik anders umsetzen

Die Politikwissenschafter*innen förderten also zu Tage, an welchen Stellen nachfrageseitig bedeutend Emissionen eingespart werden können, welche Arten der politischen Maßnahmen dafür nötig sind, und erarbeiteten gemeinsam mit dem Suffizienzrat, wie diese sozial verträglich gestaltet werden könnten.  „Insgesamt hoffen wir, mit unserer Forschung zu einem Umdenken beitragen zu können: dass Klimapolitik nicht nur rein technologiegetrieben sein muss. Wir wollen aufzeigen, dass es andere Maßnahmen zur Emissionsreduktion gibt, die in den gängigen und sehr einflussreichen Klimaschutzszenarien nicht miteinberechnet werden“, so Etienne Schneider. Klimapolitik muss in allen anderen Politikbereiche systematisch mitgedacht werden. Aktuell stark vertretene Partikularinteressen hingegen müssten weniger Gewichtung in politischen Entscheidungsprozessen haben. (ht)

Eckdaten zum Projekt

  • Titel: FOCAL-points: Haushaltsbezogene Treibhausgasemissionen und Klimapolitik in Österreich: Hebelpunkte für nachfrageseitigen Klimaschutz
  • Laufzeit: 10/2022 – 05/2026
  • Projektteam: Alina Brad, Etienne Schneider, Carolin Hirt
  • Beteiligte und Partner*innen: Simone Gingrich, Christian Dorninger, Willi Haas, Dominik Wiedenhofer (Institut für Soziale Ökologie, Universität für Bodenkultur Wien)
  • Institut: Institut für Politikwissenschaft, Institut für Internationale Entwicklung 
  • Finanzierung: Klima- und Energiefonds, Austrian Climate Research Programme

 Publikationen

  • Brad, A., Schneider, E., Dorninger, C., Haas, W., Hirt, C., Wiedenhofer, D., & Gingrich, S. (2025). Existing demand-side climate change mitigation policies neglect avoid options. Communications Earth & Environment, 6(1), 773. doi.org/10.1038/s43247-025-02800-5
  • Dorninger, C., Gingrich, S., Haas, W., Brad, A., Schneider, E., & Wiedenhofer, D. (2025). Slow and unequal reduction in Austrian household GHG footprints between 2000 and 2020. Journal of Industrial Ecology, 29(5), 1651–1665. doi.org/10.1111/jiec.70074