Jugendliche blättern durch das „How to survive a pandemic” Booklet

© How2SaP, Dorian Zoder

Gestärkt durch Krisenzeiten – was Jugendliche durch die Covid-19-Pandemie lernten

Überblick

  • Jugendliche waren von den Einschränkungen während der Covid-19-Pandemie besonders stark betroffen. Sie waren die Gruppe, die am längsten zuhause bleiben musste, und das in einer Entwicklungsphase, in der sie mehr Autonomie anstreben. 
  • Um mit den Einschränkungen zurechtzukommen, entwickelten Jugendliche verschiedene Kompetenzen, die es ihnen ermöglichten, diese herausfordernde Zeit zu bewältigen.
  • Das Wissen und Know-How der Jugendlichen wurde gemeinsam mit ihnen in einem „Survival Guide“ von und für Jugendliche festgehalten.

Das Leben von Jugendlichen wurde während der Covid-19-Pandemie besonders stark eingeschränkt. Außerdem wurden die Bedürfnisse junger Menschen während der Pandemie kaum gehört. Wenn überhaupt, wurden sie vielfach als problematisch wahrgenommen oder als „Superspreader“ stigmatisiert. Ein Team um Familiensoziologin Ulrike Zartler arbeitete diese Zeit gemeinsam mit Jugendlichen auf und legte besonderes Augenmerk auf die Fähigkeiten, die Jugendliche zur Bewältigung dieser Krise entwickelten. 

Kurz nachdem die WHO die Epidemie zu einer Pandemie erklärt hatte, gab es in Österreich im März 2020 den ersten Lockdown. Zu Beginn der Pandemie startete Familien- und Kindheitssoziologin Ulrike Zartler, gemeinsam mit den Projektmitarbeiter*innen Vera Dafert, Sabine Erben-Harter, Petra Dirnberger, Daniela Schimek, Sarah Sirka und Lena Grabner, die Studie „Corona und Familienleben“ (CoFam) und befragte Eltern zu ihrem Familienalltag während der Pandemie (siehe dazu „Nicht gesehen und nicht gehört“). Die Studie wurde vom FWF, der AK Wien und der Frauenabteilung der Stadt Wien gefördert. „Wir waren sehr froh, Eltern zu finden, die in so einer belastenden Ausnahmesituation bereit waren, mit uns zu reden“, erinnert sich Ulrike Zartler. Zu dem Zeitpunkt war es aber nicht möglich, auch die Sichtweisen von Kindern und Jugendlichen einzufangen. „Die Eltern waren ohnehin schon sehr belastet, wir wollten dies nicht verstärken, indem wir sie bitten, auch noch mit ihren Kindern reden zu dürfen“, erinnert sich die Soziologin.

Jugendliche und die Pandemie

Die Berücksichtigung der Perspektiven von Jugendlichen holte das Team um Ulrike Zartler mit dem Projekt „How 2 Survive A Pandemic: Jugendliche im Umgang mit Krise“ nach. „Uns war es sehr wichtig, die Jugendlichen selbst zu Wort kommen zu lassen, da sie während der Pandemie kaum gehört wurden“, so die Familiensoziologin. „Im Zuge des Projektes haben wir mit über 100 Jugendlichen aus unterschiedlichen Schulen und aus dem Verein Sindbad , der Jugendliche beim Übergang zwischen Pflichtschule und weiterführender Bildung unterstützt, kooperiert.“

Jugendliche waren von der Krise besonders stark betroffen. „Diese Altersgruppe war während der Lockdowns am längsten zuhause. Während Eltern wieder in ihre Arbeitsstätten und Büros gingen, hielten Schulschließungen und Distance-Learning weiter an“, betont Projektmitarbeiterin Vera Dafert. „Und das in einer Lebensphase, in der es entwicklungspsychologisch gesehen sehr wichtig ist, sich von den Eltern abzunabeln und mehr Freiheiten zu suchen“, ergänzt Zartler. Während der Pandemie haben psychische Erkrankungen bei Jugendlichen stark zugenommen, Therapieplätze gibt es aber noch immer nicht im erforderlichen Ausmaß. Daher war es den Forscher*innen ein besonderes Anliegen, die Erfahrungen und Stimmen der Jugendlichen sichtbarer zu machen und ihr Wissen anderen Jugendlichen in Form eines Booklets zur Verfügung zu stellen. Dafür ist es notwendig, diese Zeit und ihre Bedeutung für Jugendliche gemeinsam aufzuarbeiten. „Uns war wichtig, nicht von den Defiziten auszugehen. Wir arbeiteten mit einem ressourcenorientierten Ansatz und wollten wissen, welche Kompetenzen, etwa zur Strukturierung des Alltags im Lockdown oder zur Bewältigung von psychisch herausfordernden Situationen, die Jugendlichen sich aneigneten“, so die Familiensoziologin.

Reflexiv- und Kreativworkshops

Das geschah im Rahmen von Workshops, die an verschiedenen Schulen in Wien und Niederösterreich sowie beim Verein Sindbad mit den Jugendlichen durchgeführt wurden. „Dabei haben wir das Konzept, die Jugendlichen als Expert*innen für ihr eigenes Leben zu betrachten. Wir lernen also von ihnen anstatt umgekehrt“, so Ulrike Zartler. „Es war wichtig, unser ehrliches Interesse an den Jugendlichen zu signalisieren und ihnen zu zeigen, dass es uns darum geht, ihre Erfahrungen besser zu verstehen, und nicht darum, irgendwelche ‚richtigen‘ Antworten zu suchen.“

Je nach sozioökonomischem Hintergrund der Jugendlichen gab es auch sehr unterschiedliche Erfahrungen und Herausforderungen in der Pandemie. „Es macht selbstverständlich einen Unterschied, ob ich als Jugendliche*r ein eigenes Zimmer habe, wo ich mich zurückziehen kann, wo ich Homeschooling machen kann, ob ich meinen eigenen Laptop habe, den ich fürs Homeschooling nutzen kann oder ob es einen Laptop für drei Kinder gibt. Manche Jugendliche hatten auch jüngere Geschwister, die sie zusätzlich unterstützen mussten“, erklärt Sarah Sirka. Gleiches gilt für die Unterschiede zwischen Stadt und Land. „Auf dem Land haben Familien eher Häuser und Gärten. Daher wurde dort die Situation mitunter weniger einschränkend erlebt. Aber in Wien, wo sollte man hin? Da hatten Jugendliche einfach viel weniger Rückzugsmöglichkeiten“, meint Lena Grabner.

Das Forschungsteam gestaltete zunächst mit den Jugendlichen sogenannte Reflexiv-Workshops. „Hierbei baten wir die Jugendlichen, sich damit auseinanderzusetzen, wie sie die Zeit der Pandemie erlebt haben und welche Erfahrungen sie gemacht haben“, erklärt Projektmitarbeiterin Sarah Sirka. „Wir hatten den Eindruck, dass das für viele das erste Mal war, dass sie überhaupt gemeinsam mit Klassenkolleg*innen und anderen Jugendlichen über die Zeit der Pandemie reflektiert haben“, ergänzt Vera Dafert. Für die meisten Jugendlichen war es zu Beginn schwer, sich in diese Phase zurückzuversetzen. „Ein Teilnehmer hat etwa erzählt, die ganze Pandemiezeit ist für ihn wie ein einziger Klumpen, die verschiedenen Lockdowns sind gar nicht mehr klar differenzierbar“, erinnert sich Sarah Sirka. Je mehr sich die Jugendlichen jedoch gemeinsam mit dem Erlebten in der Pandemie auseinandersetzten, desto eher konnten sie auch die Strategien, die sie zur Bewältigung dieser schwierigen Zeit entwickelt hatten, erkennen. „Es war sehr schön zu sehen, wie die Jugendlichen dann selbst merkten, wie viel sie dadurch gelernt haben und was sie mitnehmen konnten“, so Vera Dafert. „Dabei versuchten sie, die verschiedenen Abläufe, die während der Pandemie stattfanden, nachzuvollziehen, und überlegten dann auch, was gut und was schlecht war, was sie vielleicht anders machen hätten können und was sie wichtig fanden, anderen Jugendlichen mitzugeben.“

Aufbauend auf den Reflexiv-Workshops fanden danach Kreativ-Workshops statt, um die gesammelten Erfahrungen in kreative Beiträge zu transferieren und so für andere Jugendliche zugänglich zu machen. Die teilnehmenden Jugendlichen waren sowohl in der Themenwahl als auch in der Gestaltung komplett frei. Sie arbeiteten in Kleingruppen und erstellten Videos, Playlists, Checklisten und vieles mehr. Das Projektteam stellte den Jugendlichen diverse Utensilien und Bastelmaterialien zur Verfügung. Auch FFP2 Masken, Covid-19-Tests oder Toilettenpapier waren für die Jugendlichen wichtig, um ihre Erfahrungen während der Pandemie kreativ darstellen zu können.

How 2 Survive a Pandemic – ein Booklet

Aufbauend auf diesen Workshops, den kreativen Beiträgen der Jugendlichen und den dadurch sichtbar gemachten Kompetenzen und Strategien entwarf das Projektteam das Booklet „How 2 Survive a Pandemic“, in dem die Strategien und Tipps zur Bewältigung herausfordernder Phasen festgehalten wurden. „Uns war es sehr wichtig, dass wir nicht einfach unsere Erwachsenenperspektive darüberstülpen“, so Zartler. Daher wurden die Jugendlichen durch Peer-Feedback Schleifen aktiv in die Erstellung des Booklets miteinbezogen. „Sie haben sich sehr aktiv eingebracht und sehr viele wichtige Aspekte bedacht, an denen wir uns in der weiteren Bearbeitung orientierten“, erzählt Lena Grabner. Dabei hatte das Projektteam den Eindruck, dass es den Jugendlichen besonders wichtig war, gemeinsam etwas zu kreieren, von dem andere Jugendliche in schwierigen Phasen profitieren können. „Viele von ihnen haben selbst eine sehr schwierige Zeit erlebt oder kannten jemanden, dem es sehr schlecht gegangen ist. Sie hätten sich selbst einfach viel mehr Unterstützung gewünscht, die es nicht gab“, so Vera Dafert. „Daher empfanden die Jugendlichen es als wichtig, an einer konkreten Unterstützung für andere Jugendliche zu arbeiten.“ 

In Form eines Ratgebers bot der Survival Guide für die Projektteilnehmer*innen die Möglichkeit, selbst aktiv etwas zu bewirken. In diesem Zusammenhang ist der sogenannte Peer-Learning-Ansatz zentral, der auf ein gemeinsames Lernen untereinander abzielt. „So hat es sogar der Tipp ins Booklet geschafft, dass man sich besser fühlt, wenn das eigene Zimmer ordentlich aufgeräumt ist. Generationen von Eltern scheitern daran, dass ihre Kinder das umsetzen – wenn es von anderen Jugendlichen kommt, kann es besser angenommen werden“, erklärt Ulrike Zartler. „Da Jugendliche solche Learnings einfach besser selbst an andere Jugendliche transportieren können, war es uns sehr wichtig, dass dieses Booklet direkt von Jugendlichen an Jugendliche geht.“

Es muss keine große Pandemie sein, um sich hilfreiche Tipps aus dem Booklet zu holen

Die in dem Booklet festgehaltenen Strategien, Tipps und Empfehlungen sind aus der Pandemie entstanden und nehmen mitunter Bezug auf die daraus resultierenden spezifischen Umstände. Sie sind aber durchaus auch darüber hinaus relevant. „Viele der im Booklet festgehaltenen Strategien können auch in anderen Krisensituationen angewendet werden“, erklärt Vera Dafert. So gibt es Checklisten für Krisenzeiten, eine Liste mit Aktivitäten gegen Langeweile oder Empfehlungen dazu, wie mit nahestehenden Menschen über Probleme gesprochen werden kann. „Ein weiterer wichtiger Punkt für die Jugendlichen waren Selbstfürsorge und Tipps dazu. Daher sind Empfehlungen für Bücher, Serien und Playlists, aber auch Informationen zu Beratungsmöglichkeiten im Booklet enthalten. Auch in einer Krise im Alltag können Jugendliche sich also hilfreiche Tipps aus dem Survival Guide holen“, ergänzt Sarah Sirka. 

Der Survival-Guide wurde gemeinsam mit den Jugendlichen bei einem Event in der Sky-Lounge am Oskar Morgenstern-Platz präsentiert. „Die Veranstaltung war flankiert von wissenschaftlichen Vorträgen und einer Podiumsdiskussion gemeinsam mit den Jugendlichen“, so Zartler. Dabei waren Jugendliche und ihre Lehrpersonen, aber auch andere Personen, die sich beruflich mit Jugendlichen auseinandersetzen. Die Veranstaltung förderte einen intensiven Austausch zwischen den Teilnehmer*innen über unterschiedliche Erfahrungen während der Pandemie. Im Vordergrund stand dabei vor allem die Sammlung von Ideen zur Bewältigung künftiger Krisen sowie von Unterstützungsmaßnahmen speziell für Jugendliche. Darüber hinaus ist das Booklet online zum Download verfügbar und wird auch an Schulen österreichweit verteilt, indem es etwa an die Kinderschutzpersonen der Schulen geschickt wird. Das Booklet kann auch über ein Bestellformular hier angefordert werden. „Die erste Auflage an gedruckten Booklets ging an die Schulen, mit denen wir im Zuge des Projektes gemeinsam arbeiteten und an den Verein Sindbad“, meint Sarah Sirka. „So bekam die aktuelle Kohorte der Sindbad-Mentees beim Kick-off Event einen Goodie-Bag, in dem auch der Survival Guide enthalten war“. Das Projektteam konnte letztlich nicht nur die Erfahrungen und Perspektiven der Jugendlichen auf eine herausfordernde Zeit sichtbar machen. Mit dem Survival Guide wurde auch eine konkrete Unterstützungsbroschüre von und für Jugendliche geschaffen, die in herausfordernden Zeiten zu Rate gezogen werden kann. (ab, ht)

Eckdaten zum Projekt

  • Projekttitel: „How to Survive a Pandemic (How2SaP): Jugendliche im Umgang mit Krise”
  • Laufzeit: 03/2024 – 04/2026
  • Projektteam: Ulrike Zartler, Daniela Schimek, Sarah Sirka, Lena Grabner, Vera Dafert
  • Beteiligte und Partner*innen: Amerlinggymnasium, G11 BG BRG Geringergasse, HAK Zwettl, HLW Zwettl, Verein Sindbad – Mentoring für Jugendliche Wien; Bundesjugendvertretung, die möwe, Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien, Netzwerk Kinder-rechte Österreich, Österreichisches Institut für Familienforschung
  • Institut: Institut für Soziologie
  • Finanzierung: FWF

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