Ist Kinder zu bekommen vielleicht doch (k)eine Klimasünde?
Überblick
- Eltern scheinen sich tendenziell mehr Sorgen um die Umwelt zu machen als kinderlose Menschen.
- Das Umweltbewusstsein nimmt bei den meisten Menschen mit dem Alter ab – weniger stark jedoch bei jenen Menschen, die Kinder haben.
- Umweltbewusstsein und Umweltkatastrophen im Jugendalter wirken sich darauf aus, ob und wann ein Mensch Kinder bekommt.
Viele kennen heutzutage Menschen im eigenen Umfeld, die aus Klimagründen auf Kinder verzichten möchten. Es gibt zahlreiche Vertreter*innen der These – eine der bekannten ist die deutsche Autorin Verena Brunschweiger –, dass man sich aus ökologischen Gründen gegen Kinder entscheiden müsse. Die Frage, ob Elternschaft tatsächlich eine Klimasünde ist, oder ob diese auch Chancen birgt, den Klimawandel abzuwenden, stellen sich Erich Striessnig und sein Team in ihrem Forschungsprojekt.
„Das Umweltbewusstsein nimmt über die Lebenszeit bei allen Menschen ab. Anders gesagt: Je älter man wird, desto weniger relevant wird die Frage nach der Klimakrise. Unsere Ergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass Elternschaft zumindest teilweise vor altersbedingt zunehmender „Ignoranz“ schützt, was bis heute nicht untersucht wurde.“, erläutert Striessnig.
Wie wirkt sich Elternschaft auf Klimasorgen aus?
Für den Verzicht auf Kinder infolge des Klimawandels werden üblicherweise folgende Gründe genannt: Sorge um das Kind in einer klimatisch veränderten Welt, und/oder Sorge, dass das Kind zusätzlich zum Klimawandel beiträgt und die Situation noch schlimmer macht, als sie ohnehin schon ist. Während es zu diesem Thema immer mehr Literatur gibt, ist die umgekehrte Frage weiterhin fast komplett ungeklärt: Wie wirkt sich Elternschaft auf Klimasorgen aus?
Entstanden ist die Idee zu einer Studie vor etwa vier Jahren aus der Frage, ob nicht etwas verloren ginge, wenn Menschen aus Sorge um das Klima aufhören würden, Kinder zu bekommen. Erich Striessnig, Leiter des Instituts für Demografie der Universität Wien, wollte die weiteverbreitete These, dass Kinder zu bekommen automatisch schlecht fürs Klima sei, mit Daten überprüfen.
Eltern sorgen sich – auch wenn die Kinder bereits erwachsen sind – tendenziell mehr um Klima und Umwelt als kinderlose Menschen.
Im noch in Arbeit befindlichen Artikel „Too Worried about Climate Change to Have Children? Or More Worried about Climate Change Once One is a Parent?“ geht Erich Striessnig zusammen mit Alessandra Trimarchi vom Insitut für Soziologie der Universität Wien, Natalie Nietsche vom Max-Planck-Institut für Demographische Forschung in Rostock, Maria Rita Testa von der LUISS University in Rom sowie dem PhD Kandidaten Steffen Peters der bisher ungeklärten Frage nach, ob und wie sich Sorgen um den Klimawandel (‚climate concern‘) auf die Wahrscheinlichkeit auswirken, Eltern zu werden – und ob umgekehrt Elternschaft Auswirkungen auf diesen ‚climate concern‘ hat.
„Kausale Zusammenhänge und Wirkmechanismen lassen sich aus den vorhandenen Daten zwar nicht herauslesen – es scheint jedoch bei Eltern eine Schutzwirkung gegen Klimaskepsis zu geben. Bei kinderlosen Menschen fällt der ‚environmental concern‘ weit stärker ab“, erklärt Striessnig. „Bei Menschen, die Eltern geworden sind, reduziert sich das Umweltbewusstsein nicht so stark wie bei Menschen, die keine Kinder bekommen haben.“
Die Datenlage
Ein wesentlicher Grund dafür, dass diese Fragen bisher eher unbeachtet blieben, waren fehlende Daten. Striessnig und sein Team hatten nun die Idee, zu ihrer Beantwortung die öffentlich zugänglichen Daten des German Socio-Economic Panel (GSOEP) heranzuziehen. Diese Daten erlauben es Striessnig, (zukünftige) Eltern über einen Zeitraum von bis zu 20 Jahren zu begleiten und dabei die genannten Forschungsfragen zu untersuchen. Was diesen Datensatz einzigartig macht, ist die Dauer – bereits 1984 wurde begonnen, die Frage nach dem ‚environmental concern‘ zu stellen. Die damaligen Kinder sind längst erwachsen, das Umweltbewusstsein der Eltern von damals konnte also über einen sehr langen Zeitraum untersucht werden.
Hat das Umweltbewusstsein eines Menschen auch Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit, Mutter oder Vater zu werden?
Die Fragen, die Striessnig und sein Team in ihrer Arbeit stellen, lassen sich in zwei Blöcke unterteilen: Erstens, ob das Umweltbewusstsein einen direkten Einfluss auf die Fertilität hat. In einer Querschnittsanalyse wird dabei untersucht, wie sich die Sorge um die Umwelt auf die Wahrscheinlichkeit auswirkt, im Alter von 40 Jahren, Vater oder Mutter zu sein. Hier sehen die Forscher*innen jedoch keinen signifikanten Zusammenhang.
Der zweite Frageblock bezieht sich auf das ‚timing of fertility‘ – den Zeitpunkt der Elternschaft. „Hier sehen wir, dass Menschen die im frühen Erwachsenenalter große Sorgen um die Umwelt hatten, die Elternschaft länger hinauszögern. Erfahrungen, die junge Menschen im Jugendalter machen, wirken sich auf ihr reproduktives Verhalten aus. Menschen, die in ihrer Jugend unter starkem Einfluss von Umweltkatastrophen standen, haben eine geringere Wahrscheinlichkeit, Eltern zu werden. Das Umweltbewusstsein scheint sich also tatsächlich darauf auszuwirken, ob und eventuell wann ein Mensch Vater oder Mutter wird“, gibt Striessnig zu verstehen. Menschen, die in der Jugend Klimakatastrophen wie Tschernobyl erlebt haben, bekommen tendenziell also weniger wahrscheinlich – und wenn doch, erst in späterem Alter – Kinder. Zum Teil könnte das auch mit dem Bildungsgrad zu tun haben – gebildetere Menschen haben tendenziell mehr Umweltsorgen, bekommen– unabhängig davon – aber auch erst später Kinder (siehe dazu auch die Forschungen von Eva Beaujouan und Caroline Berghammer). Die Ergebnisse zu dieser Frage lassen aber keine eindeutigen Schlüsse zu.
Welches Potential für Klima und Umwelt steckt in Elternschaft?
Die Forschung von Striessnig wirft die Frage auf, ob nicht auch Potential in Elternschaft steckt – und ob es nicht vielleicht auch der Elternschaft von klimabesorgten Menschen bedarf, um überhaupt zum Nachdenken über umweltrelevantes Handeln und Verhalten anzuregen, heute wie in Zukunft.
„Wir als Gesellschaft müssen uns fragen, ob wir Menschen Kinderkriegen verbieten wollen“, so Striessnig. Einem ‚Kind-shaming‘ wie etwa von der deutschen Autorin Verena Brunschweiger in ihren Büchern „Kinderfrei statt kinderlos“ und „Die Childfree-Rebellion“ hält er entgegen, dass Elternschaft sich positiv auf Klimabesorgnis auszuwirken scheint. Außerdem argumentiert Striessnig: „Wir brauchen Kinder, wenn die Gesellschaft nicht irgendwann ein Altersheim sein soll.“ Problematisch wird es laut Striessnig dann, wenn jene Menschen, die eigentlich Kinder bekommen wollen, ein schlechtes Gewissen bekommen und aus Rücksicht auf das Klima auf Kinder verzichten. „‚Peer pressure‘ und gesellschaftliches ‚shaming‘ sollte jedenfalls kein Grund sein, sich gegen Elternschaft zu entscheiden“, so Striessnig.
Was spricht denn nun dafür, in unserer Zeit Kinder zu bekommen?
Neben dem Studienergebnis, dass Eltern sich mehr um die Umwelt sorgen als Nicht-Eltern, geht Striessnig auch von einer so genannten ‚intergenerational transmission of attitudes‘ aus. Damit wird in der demografischen Forschung der Umstand bezeichnet, dass Werte und Einstellungen – in diesem Fall in Bezug auf Umweltschutz und -zerstörung – von Eltern an ihre Kinder weitergegeben werden. Somit beeinflussen die Kinder – durch ihre bloße Existenz, aber auch eventuell durch ihr eigenes ‚little Greta‘-Verhalten – das Umweltbewusstsein der Eltern, und umgekehrt geben Eltern ihr Umweltbewusstsein an ihre Kinder weiter.
Es täte unserer Gesellschaft laut Striessnig demnach gut, wenn auch in Zukunft Menschen darin aufwachsen, die umweltbewusst sind und sich um das Klima sorgen. Das Gedankenexperiment kann noch weitergeführt werden: Was passiert mit einer Gesellschaft, in der nur noch diejenigen Kinder bekommen, die sich nicht um die Umwelt sorgen? Klimabewusste Menschen stünden dann als alternde Minderheit einer mehrheitlich klimaskeptischen Jugend gegenüber – vorausgesetzt der Annahme, dass Umweltbewusstsein, wie etwa Bildung, „vererbt“ wird. Die politische Frage wäre, ob es dann – in dieser Zukunft, in der klimabesorgte Menschen keine Kinder mehr bekommen – noch eine Mehrheit gäbe, die etwa Projekte zum Umweltschutz wie die ‚Sustainable Development Goals‘ unterstützt.
Herausforderungen, Limitierungen und offene Fragen
Haben umweltbewusste Eltern nun auch umweltbewusste Kinder? Diese Frage muss laut Striessnig noch weiter untersucht werden, ebenso wie umweltbewusstes Verhalten (im Unterschied zu bloßen Einstellungen). Im Datensatz des GSOEP ist das Verhalten nicht erfasst, sondern nur subjektive Einstellungen die Sorge um das Klima betreffend. Daten, die etwas über Umweltverhalten aussagen könnten, wie etwa Mobilität, Gas- oder Stromverbrauch, sind nicht verfügbar, sondern nur die subjektiven Einstellungen, die nicht objektiv überprüfbar sind. Der ‚social desirability bias‘ – die soziale Erwünschtheit von Antworten – kann ebenfalls eine Rolle spielen und Daten von Umfragen verfälschen.
Eine der größten Herausforderungen für das Forschungsteam ist letztlich die geringe Fallzahl. Die Resultate können mit einer geringen Fallzahl nicht signifikant sein, weshalb es dringend weiterer Erhebungen bedürfte. Dennoch ist auf Basis der vorhandenen Daten beobachtbar, dass Umweltbewusstsein mit dem Alter abnimmt – und dass Elternschaft tendenziell vor dieser Abnahme „schützt“. Auch wenn sich aus der Datenlage keine kausalen Wirkmechanismen herauslesen lassen, ist der Zusammenhang dennoch eindeutig.
Beitrag der Wissenschaft zum Umweltdiskurs
Ende Jänner erschien ein Der Standard-Artikel von Lisa Breit – "Darf man heute noch Kinder bekommen?" –, in dem auch Erich Striessnig interviewt wurde. Dabei zeigte sich deutlich, dass die gesellschaftliche Resonanz dieser Studie emotional aufgeladen ist. Kritische Kommentare und Rückmeldungen zu Striessnigs Haltung gab es zuhauf. Eine Leserin machte sich sogar die Mühe, E-Mail Adressen der Interviewten zu recherchieren um ein vorwurfsvoll-wütendes Mail zu schreiben, wie Striessnig und die anderen Interviewten es wagen können, für das Kinderkriegen in dieser Welt zu argumentieren.
„Das Thema ist kontrovers – und umso wichtiger ist der Beitrag der Wissenschaft für den gesellschaftlichen Diskurs. Ein Potential unserer Arbeit liegt darin, mit demografischer Forschung zu einer gesellschaftlich sehr aufgeladenen und hitzigen Debatte beizutragen: wenn es mehr Wissen zu den Hintergründen gibt, kann das die Debatte weiterbringen“, schließt Striessnig. Seine Kolleg*innen und er reichen Forschungsanträge ein und hoffen auf weitere Forschungsgelder, denn es gibt noch viele ungeklärte Fragen zu diesem gesellschaftlich höchst aktuellen Thema. Einen deutlichen Bezug sieht Striessnig auch zum Thema ‚Planetary Health‘: „Der Planet ist krank und bedarf guter Betreuung. Wenn Kinder krank sind, betreuen sie üblicherweise ihre Eltern. Im Falle des Planeten werden dies zukünftig unsere Kinder übernehmen müssen. Es wäre wichtig, dass sie mit ausreichend (Für-)Sorge um den erkrankten Planeten ausgestattet sind.“ (er)
Eckdaten zum Projekt
- Titel: Too Worried about Climate Change to Have Children? Or More Worried about Climate Change Once One is a Parent?
- Protjektteam: Erich Striesnig, Alessandra Trimarchi, Natalie Nietsche, Maria Rita Testa, Steffen Peters
- Projektpartner: Max-Planck-Institut für Demographische Forschung (Rostock), LUISS University (Rom)
- Institut: Institut für Demografie