Bild von einer Geschäftsfront, Simmeringer Hauptstraße 123

Simmeringer Hauptstraße. Quelle: wikipedia/Funke CC BY-SA 4.0

Meine eigene Chefin

Überblick

  • Rund ein Drittel aller Unternehmer und Unternehmerinnen in Wien haben Migrationshintergrund.
  • Die Situation von Unternehmerinnen wird in der Forschung allerdings wenig berücksichtigt.
  • Ein Team vom Institut für Internationale Entwicklung der Universität Wien nimmt sich dieser Forschungslücke an. Ein Ergebnis: Die Kategorie Geschlecht ist in vielen Fällen entscheidender als der Migrationshintergrund.

Von der Simmeringer Hauptstraße bis zur Neubaugasse: Entwicklungsforscherinnen Petra Dannecker, Alexandra Heis und Alev Cakir ziehen in ihrem aktuellen Projekt durch die Geschäftsstraßen Wiens. Ihr Anliegen: Mehr über die Motive der Unternehmerinnen mit Migrationshintergrund sowie deren Lebens- und Arbeitsbedingungen zu erfahren. Wie trägt Selbständigkeit zu sozialer Sicherheit bei und welche Bedeutung hat dabei das Geschlecht? Dies wird im Rahmen des Projekts des dreiköpfigen Teams der Universität Wien auf der Grundlage der Lebensgeschichten und Zukunftsvorstellungen von Unternehmerinnen untersucht.

Im Wiener Kaffeehaus wurde Frau P. aufgrund ihres „chinesischen Aussehens“ als Servicekraft abgelehnt. Wieder und wieder. Schließlich reiste die Österreicherin nach Peking, um dort die Grundlagen der chinesischen Massage zu erlernen. Zwei Jahre später eröffnete Frau P. ihren eigenen kleinen Massagesalon in Wien. Mit Erfolg: Die Leute kommen gerne.

 ‚Ethnizität‘ als Sicherheitsressource

„Frau P. hat sich die ethnische Zuschreibung, die ihre Arbeitssuche erschwert hat, zu Nutze gemacht, um sich ökonomisch zu positionieren“, kommentiert Entwicklungsforscherin Petra Dannecker, die sich in ihrem aktuellen Projekt gemeinsam mit Alexandra Heis und Alev Cakir mit der Bedeutung von Sicherheit für migrantisches Unternehmerinnentum in Wien beschäftigt. Frau P. ist nur eine von vielen Personen, die den ihr zugeschriebenen Migrationshintergrund oder den Migrationshintergrund ihrer Familien auf dem Arbeitsmarkt strategisch einsetzt und damit ihre soziale und wirtschaftliche Sicherheit selbst definiert. „Das sagt viel über unsere Gesellschaft und die stattfindenden Differenzierungen und Diskriminierungen aus“, findet das Team vom Institut für Internationale Entwicklung. Viele der befragten Frauen sehen in der Selbstständigkeit die beste und oftmals auch einzige Möglichkeit, sich ökonomisch und gesellschaftlich zu integrieren.

In ihrem Forschungsprojekt – gefördert durch den Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank (OeNB) – möchten die Entwicklungsforscherinnen genau diese Prozesse offenlegen und zur Diskussion stellen. Im Bereich Unternehmerinnentum sind die Forscherinnen auf Geschichten gestoßen, die sie den Antworten auf diese Fragen ein ganzes Stück näherbringen.

 Eine Forschungslücke in Sachen Unternehmerinnen

Vom türkischen Gemüsehändler über die polnische Schneiderin bis zum syrischen Barber: Schätzungsweise haben mittlerweile rund ein Drittel aller Unternehmer*innen in Wien Migrationshintergrund. „Wir finden viel Literatur zu sogenannten ethnischen oder migrantischen Unternehmern, oft vernachlässigt bleibt jedoch die Bedeutung, die Selbstständigkeit für Frauen hat, und welchen strukturellen Herausforderungen sie begegnen“, so das Uni Wien-Team. In ihrem Projekt, das Teil der kürzlich verlängerten Forschungsplattform Mobile Cultures and Societies ist, geht es daher primär um die Perspektive von ‚Migrantinnen‘ und inwieweit Selbständigkeit und Sicherheitsempfindungen verknüpft sind.

 Bei Expert*innen nachgefragt

Der erste Schritt führte die Wissenschafterinnen zu öffentlichen Stellen, Vereinen und NGOs, die mit und für Migrant*innen, sowie für Akteur*innen der Wirtschaft arbeiten. Bei den Expert*innen haben sie nachgefragt: Wie steht es um die migrantischen Unternehmerinnen in Wien? Die Antwort: Gut um hochqualifizierte Unternehmerinnen und jene Frauen, die erfolgreich Start-Ups in Hochwachstumssektoren oder in Kreativindustrien gründen. Wie es um die vielen anderen Unternehmerinnen bestellt ist, die in Handel, Gewerbe und Dienstleistungssektor mit kleinen Geschäften ihr Überleben sichern, erfuhren sie kaum. Also sind Petra Dannecker, Alev Cakir und Alexandra Heis selbst losgezogen und führten in kleinen und mittelständischen Betrieben qualitative Interviews durch – eine sozialwissenschaftliche Methode, die viel Raum für offene Erzählungen lässt.

 Welche Themen sind wirklich wichtig?

„Die lebensgeschichtliche Perspektive der Frauen stand bei uns im Vordergrund“, erklärt Dannecker. Sie erinnert sich aber auch an die Schwierigkeiten bei der Suche nach Interviewpartnerinnen: „Oftmals ernteten wir Skepsis und die Frauen vermuteten, dass wir von der Steuerbehörde oder dem Gesundheitsamt geschickt wurden.“ Nach Transparentmachen ihres Forschungsanliegens teilten rund 25 Frauen ihre Geschichten mit den Forscherinnen. Sie nutzten die Interviewsituation auch, um Forderungen an Politik und Wirtschaft zu artikulieren. „Das gab uns Aufschluss darüber, welche Themen für die Unternehmerinnen wichtig sind und was sie beschäftigt“, fährt Dannecker fort.

 Unabhängigkeit und Selbstbestimmung als Sicherheitsstrategie

Zu Tage kamen sowohl ihre Beweggründe als auch die alltäglichen Herausforderungen in der Geschäftswelt: „Einige Frauen bewerben sich gar nicht erst auf eine reguläre Anstellung, sondern gehen gleich den Schritt in Richtung Selbständigkeit. Damit gehen sie vielfältigen Diskriminierungen aus dem Weg. Einerseits haben die Frauen im Laufe ihrer Sozialisation gelernt, dass sie es auf dem Arbeitsmarkt schwieriger haben als ‚österreichische‘ Mitbewerber*innen. Anderseits bedeutet Selbständigkeit auch mehr Flexibilität: Sie bestreiten ihr eigenes Einkommen und können die Kinderbetreuung flexibler gestalten. Allerdings – und das zeigten die Interviews – haben die Frauen weniger Zugang zu Netzwerken und einige erfahren weniger Unterstützung z.B. durch die Familien. Ebenso wie bei vielen ihrer männlichen Kollegen hat die Selbstständigkeit ihren Preis: Die vielen investierten Arbeitsstunden sind schlecht bezahlt und ‚über-die-Runden‘ zu kommen wird oft schon als Erfolg gesehen. „Die Selbstbestimmung und Unabhängigkeit im Beruf sowie die Möglichkeit einer wirtschaftlichen Aktivität überhaupt haben für Frauen einen höheren Stellenwert als die Höhe des Einkommens, Urlaub oder Feierabend“, schildern die Forscherinnen.

 Interviewangebot an alle

Bevor jedoch Migrantinnen befragt werden konnten, gab es einige methodologische Fragen zu klären. Wo und wer würde als Interviewpartnerin in Fragen kommen und warum? Wer sind überhaupt migrantische Unternehmerinnen und wer definiert die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe? Klar war, dass Migrationserfahrung nur erfragt und nicht angenommen werden kann. Ausgehend von einem sozialräumlichen Ansatz wurden bestimmte Straßenzüge, die sich möglichst unterschiedlich präsentieren – von der belebten Marktstraße bis zur hippen Ausgehmeile –, ausgewählt und die Betreiberinnen von dortigen Straßenläden als relevante Akteurinnen definiert. „Diese Sampling-Strategie war der Versuch, nicht mit einer klaren Definition von ‚Migrantin‘ ins Feld zu gehen, sondern alle zu befragen, um herauszufinden, in welchem Kontext der Migrationshintergrund für die Unternehmerinnen eine Rolle spielt“, berichtet Alexandra Heis.

Ein spannendes Ergebnis: „Es ist nicht unbedingt der Migrationshintergrund die entscheidende Kategorie, auch wenn die Herkunft die Benachteiligung verstärkt. Das Geschlecht hat eine viel größere Auswirkung. Tendenziell haben Frauen weniger Zugang zu Netzwerken in der männlich inszenierten Geschäftswelt, erhalten seltener Kredite, der Zugang zu öffentlichen Förderungen gestaltet sich schwieriger und die Vereinbarkeit von wirtschaftlichen und nicht-wirtschaftlichen Tätigkeiten steht im Vordergrund – unabhängig von ihrer Herkunft".

 Integration ist ein Prozess, der von beiden Seiten etwas abverlangt

Ökonomisch selbständig sein, sich in ein neues Umfeld zu integrieren und ihre Herkunftsländer finanziell oder mit Know-how unterstützen: Die Anforderungen an Migrant*innen – das betrifft Frauen und Männer gleichermaßen – sind heutzutage hoch. Die Wissenschaft kann diesem Diskurs etwas entgegensetzen, davon sind Petra Dannecker und Alexandra Heis überzeugt. „Wir wollen durch unsere Forschung aufzeigen, dass das Denken in Kategorien wie z. B. ‚wir‘ und die ‚anderen‘ – Kategorien, die zunehmend die politischen und gesellschaftlichen Debatten dominieren –, keine statischen Kategorien sind, sondern je nach Ort unterschiedliche Bedeutung haben. Auch wenn häufig Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt als Ursache für die Selbstständigkeit angeben wurde, zeigt die Forschung, dass einige Frauen diese Zuschreibungen produktiv nutzen können, wie das Beispiel von Frau P. zeigt. Das heißt nicht Ausgrenzungen zu relativieren, sondern die vielfältigen und unterschiedlichen Erfahrungen zu berücksichtigen. Integration ist ein Prozess, der Verständnis und Engagement von beiden Seiten bedarf, dazu wollen wir mit unserer Forschung einen Beitrag leisten.“

Nach Projektabschluss ist ein Workshop geplant. Gemeinsam mit relevanten Akteur*innen wie Vertreter*innen der Wirtschaftskammer oder migrantischen Vereinen sollen – wie bereits im ersten Projektjahr – die Ergebnisse diskutiert werden. Die Forscherinnen wollen so das wissenschaftliche Wissen, das sie im Zuge ihres Projekts generieren konnten, mit dem nicht-wissenschaftlichen Wissen aus der Praxis in Dialog bringen. „Forschung ist schließlich kein linearer Prozess von der Universität in die Gesellschaft, sondern lebt von den Stimmen aller.“ (hm)

Eckdaten zum Projekt

  • Titel: ‚Migrant‘ Women Entrepreneurs in Vienna
  • Zeitraum: 2015–2018
  • Beteiligte und Partner*innen: Petra Dannecker, Alev Cakir, Alexandra Heis
  • Institut: Institut für Internationale Entwicklung
  • Finanzierung: Österreichische Nationalbank (OeNB)
  • Kooperationen: Forschungsplattform Mobile Cultures and Societies

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