Schriftzug OLive groß mit zwei grünen Blättern als V. Darunter in klein: open learning initiative

© OLIve

Ein inklusiver Safe Space

Überblick

  • Mit einem Team aus Freiwilligen stemmt Katharine Sarikakis das kostenfreie Lehrangebot OLIve für Personen mit AsylwerberInnen- oder Aslyberechtigtenstatus an der Universität Wien.
  • Der OLIve-Lehrgang bietet unterschiedliche Kurse mit dem Ziel an, die TeilnehmerInnen auf ein Hochschulstudium vorzubereiten.
  • Als menschliches Gesicht im Dschungel der Bürokratie unterstützt das OLIve-Team auf individueller Ebene und baut gemeinsam Ängste und Hemmungen ab.

Als erstes seiner Art in Österreich startete ein Team um Katharine Sarikakis das Programm OLIve, eine Open Learning Initiative für Asylwerber*innen, Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtige. Mit eigenem Lehrangebot bietet das Programm studienübergreifend Kurse und Tutorien mit dem Ziel an, bürokratische Hürden und den Einstieg in das Studium zu erleichtern. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen Olga Kolokytha und Izabela Korbiel vom Media Governance and Industries Research Lab steht uns Katherina Sarikakis Rede und Antwort.

Was genau ist OLIve und seit wann sind Sie aktiv?

Katharine Sarikakis: OLIve gibt es seit April 2017 und ist ein kostenloses Lehr- und Beratungsangebot für alle Neuankömmlinge, die ein Studium an einer europäischen Hochschule anstreben. Es gibt zwei Optionen: OLIve Up, ein intensiver Vollzeitkurs, und OLIve Weekend am Wochenende. Wir arbeiten in Kooperation mit der Central European University in Budapest und der University of East London und ermöglichen dieses Angebot durch eine Vielzahl an ehrenamtlichen Arbeitsstunden, die von unserem Team entrichtet werden. Wir werden zwar von der Europäischen Kommission gefördert, leider reichen diese Mittel jedoch nicht, um ohne ehrenamtliche Mitarbeit auskommen zu können.

Warum braucht es das Programm?

K.S.: Wir haben in der Vergangenheit schon ähnliche Projekte für Roma und Sinti angeboten, dort verhielt es sich ähnlich: Bestimmte Gruppen haben es in unserer Gesellschaft schwerer, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Mit unserem Angebot schaffen wir Entry Points, also Anknüpfungspunkte, in den oft recht kompliziert anmutenden Universitätsbetrieb und somit auch in einen Teil unserer Gesellschaft. Zwar gab es bereits Bildungsangebote, aber OLIve ist mehr.

OLIve schafft integrative Entry Points und stärkt das Selbstvertrauen. - K.S.

Izabela Korbiel: Genau, OLIve ist natürlich auch ein Bildungs- und Beratungsangebot. Wir helfen bei bürokratischen Hürden und machen wissenschaftliches Wissen zugänglich durch das Angebot der Zweisprachigkeit – also Deutsch und Englisch. Aber der wichtigste Teil unserer Arbeit ist für mich eigentlich, Mut zu machen…

Olga Kolokytha: … und das Selbstvertrauen zu stärken. Besonders, wenn Eigeninitiative gefragt ist, trauen es sich vor allem Frauen nicht zu, den ersten Schritt zu wagen. Viele unserer Teilnehmerinnen kommen aus Kulturen, in denen Zurückhaltung von Frauen erwartet wird, gerade auch im öffentlichen Leben. Wir schaffen hier einen sicheren Ort, an dem alle respektiert und ernstgenommen werden – ein Austausch auf Augenhöhe.

Krisztina Rozgonyi-Braun: Als wir 2016 gefragt wurden, ob wir jemanden kennen, der ein solches Projekt organisieren möchte, wussten wir sofort, wir machen es. Wir waren von Anfang an davon überzeugt, die Universität Wien kann an dem Thema nicht vorbei gehen.

Bewerben sich denn eher Männer oder Frauen für das Programm?

K.S.: Es sind deutlich mehr Männer, manchmal kommen auch die Partnerinnen. Aber durch einen hohen Einsatz unserer ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen konnten wir die Zahl der Frauen erhöhen.

Die Hemmschwelle der Frauen ist oft besonders hoch. - O.K.

Ein Hauptziel des Programms ist es, Anknüpfungspunkte an die Gesellschaft zu schaffen, gleichzeitig sind die Lehrangebote ausschließlich für Neuankömmlinge, getrennt von den Wiener Studierenden. Warum?

K.S.: Das ist ja dann der nächste Schritt – ein reguläres Studium. Es ist wichtig, dass wir durch einen Safe Space, also einen sicheren Ort, ein vorsichtiges Herantasten an die Materie ermöglichen. Viele Dinge, die an der Universität für selbstverständlich erachtet werden, sind unseren Teilnehmer*innen fremd. Das bedeutet natürlich nicht, dass sie für den Universitätsbetrieb nicht geeignet sind.

Das Bild wurde in einem nach hinten ansteigender Hörsaal wird aus der letzten Reihe aufgenommen und zeigt das Auditorium von hinten, während vorne zwei Kursteilnehmer präsentieren.

Präsentation von Kursteilnehmern. © OLIve Projektteam.

O.K.: Wir lehren zum Beispiel Präsentationsskills – also etwas, das in österreichischen Schulen zur Genüge geübt wird. Das ist nicht überall so! Unser Tutorium hat sich zunächst darauf konzentriert, zu vermitteln, wie man steht, wie man das Publikum adressiert und warum Augenkontakt wichtig ist. Dann haben wir gemerkt, dass wir noch ein Stück tiefer gehen müssen. Eine junge Frau aus Nigeria hatte große Scheu, auch nur vor unserer kleinen Gruppe zu stehen. „Allein die Tatsache, vor einem Publikum zu stehen, ist mir fremd“, sagte sie. „Wenn in meinem Land eine Frau vor einem gemischten Publikum steht, wird man geächtet.“ 

I.K.: Und das geht nicht nur Frauen so, auch wenn die Hemmschwelle für Frauen unserer Erfahrung nach definitiv höher ist. Viele unserer Teilnehmer*innen haben einen anderen Bezug zu hierarchischen Strukturen im Universitätsbetrieb. So fällt es vielen schwer, auf einzelne Professor*innen zuzugehen, sich einzubringen oder eine Frage zu stellen, vor allem, wenn es Unsicherheiten bzgl. der Sprache gibt. Diese Angst bauen wir ab – und das geht am besten in einem Safe Space.

Wir wollten Teil der Lösung sein. - K.S.

Können diese Unsicherheiten in der Sprache mit Sprachkursen abgebaut werden?

K.S.: Ja und nein. Natürlich sind Sprachkurse essenziell, um kommunizieren zu können, aber es geht um mehr – hier kommt wieder das Selbstbewusstsein ins Spiel. Wer eine Sprache nicht zu 100 Prozent spricht, wird ganz anders wahrgenommen; die Professionalitätszuschreibung ist eine andere. Ich komme aus Griechenland, spreche Deutsch und dennoch fällt es mir oft sehr schwer, wirklich das auszudrücken, was ich sagen möchte – es geht etwas verloren. Wir helfen, dieser Ohnmächtigkeit entgegenzutreten.

O.K.: Der Sprachkurs ist ein so wichtiger Teil unseres Programms, weil kein deckendes Sprachunterrichtsangebot von staatlicher Seite her existiert. Wenn die Sprache zur Barriere wird, ist es schwer, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen und am Leben teilzunehmen.

K.S.: Wir gleichen eigentlich den Mangel an politischem Willen aus, gleichzeitig können wir das natürlich auch nur punktuell tun – durch den großen Teil an ehrenamtlicher Tätigkeit sind wir am Limit. Dennoch sind wir froh, Teil der Lösung zu sein, anstatt über die Probleme zu debattieren.

Eure Kurse im OLIve Up sind zweisprachig. Wie kann man sich das vorstellen?

K.S.: Das war auch für uns eine pädagogische Herausforderung – wie macht man das am besten? Wir variieren. Manchmal sind die Slides auf Deutsch und der Vortrag auf Englisch. Wir hatten auch schon komplette Vorlesungen, die wirklich zweisprachig gehalten wurden – da dauert natürlich alles ein bisschen länger. Dennoch haben wir gemerkt, dass es einen großen Unterschied macht, wenn wir auf unsere Teilnehmer*innen individuell eingehen.

Wir sind das menschliche Gesicht im bürokratischen Dschungel. - K.S.

Individuelle Betreuung – was umfasst das für euch?

K.S.: Zum einen unterstützen wir bei bürokratischen Fragen. Wir sind sozusagen das menschliche Gesicht im bürokratischen Dschungel. Da kann jeder Fall andere Unterstützung bedeuten. Aber wir sind halt auch einfach flexibel. Eine Teilnehmerin war sehr interessiert, konnte jedoch nur sporadisch kommen. Dann stellte sich heraus, dass es an einer fehlenden Kinderbetreuung lag. Ab diesem Tag hatten wir eine kleine Spielecke im Raum und die Teilnehmerin konnte mit Kind regelmäßig dabei sein.

Was war für euch unerwartet? Wo lagen Herausforderungen?

K.S: Wir haben vor allem zwei Dinge gelernt: Wir waren naiv. Unsere ursprüngliche Annahme, dass die Finanzierung für 80 Prozent des Projekts ausreicht, war unrealistisch. Und wir haben das Entgegenkommen und die Unterstützung der Universität Wien überschätzt, hier sind wir regelmäßig angestoßen. Auf der Suche nach Räumlichkeiten für das Wochenende, wo nun wirklich viele Ressourcen frei sind, wurden wir unermüdlich abgewiesen. Erst nach Wochen gab es grünes Licht, aber auch nur durch das Aktivieren von Kontakten. Wir hätten uns einen höheren Grad an Flexibilität erwartet, das war frustrierend.

Mit über 1.100 ehrenamtlichen Arbeitsstunden gibt unser Team wirklich alles. - I.K.

I.K.: Vor allem, weil es so unnötig ist. Wir zählen jetzt bereits 1.100 ehrenamtliche Stunden, Tendenz natürlich steigend. Da müssen wir uns doch nicht auch noch das Leben schwerer machen.

K.S.: Und wir handeln ja im Interesse der Universität. Durch unser breites Spektrum an Vorlesungen machen wir Werbung für das Bildungssystem. Viele sind überrascht von der Vielfalt der Sozialwissenschaften. Das ist imagefördernd!

Wie geht es eurem Team? Was nehmt ihr mit?

K.S.: Der Lernprozess ist keine Einbahnstraße – wir lernen ständig voneinander und auch über uns selber. Das Wort Flüchtling hat durch den medialen Diskurs so eine Konnotation des Anderen bekommen, es ist eine Differenzkategorie geworden. Das Projekt regt zum Nachdenken an – auch meine Familie in Griechenland wurde durch Flucht und Migration geformt. Sobald es persönlich wird bzw. ein persönlicher Bezug da ist, dreht sich die Perspektive oft. Auch wenn sich nach den ersten Monaten eine gewisse Erschöpfung niederschlägt, ist die Arbeit unglaublich erfüllend.

Danke für das Gespräch. Ist euch noch etwas wichtig?

O.K.: Da es sich gerade anbietet: Wir suchen deutschsprachige Tutor*innen! Wir freuen uns über Unterstützung.

K.R.: Der Leiter von OLIve an der CEU sagt: Es sollte solange OLIve geben, solange der Bedarf da ist; diese Botschaft möchten wir auch verbreiten. (il)
 
Wer bei OLIve mitwirken möchte, kann sich an Izabela Korbiel wenden.

OLIve-Weekend

  • Beschreibung: Wochenendkurs zur Auffrischung der englischen Sprache. Einführung in das akademische System, Kennenlernen durch Tutorien in Kombination mit wissenschaftlichen Vorlesungen.
  • Sprache: Zweisprachig (Deutsch und Englisch).
  • Dauer: 12 Wochen, Kurstage sind Samstage.

OLIve UP

  • Beschreibung: Intensiver Vollzeitkurs, der Fokus liegt auf akademischen Tutorien, akademischen Sprachkenntnissen in Deutsch und Englisch, die Entwicklung von akademischen Fähigkeiten sowie Trainings über Menschenrechte und Grundrechte.
  • Sprache: Zweisprachig (Deutsch und Englisch).
  • Dauer: 6 Monate, Kurstage sind Montag-Freitag.

Vermittelte Skills in OLIve Tutorien

  • Wissenschaftliche Kompetenzen: Schreiben, Lesen, Präsentieren und Recherchieren auf Universitätsniveau.
  • Professionelle Kompetenzen: Lebenslauf Schreiben und Bewerbungsgespräche (für Beruf- und Universitätsbewerbung).
  • Kreative Kompetenzen: z.B. Video- und Theaterworkshop.

Eckdaten zum Projekt

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