Legale Schleichwerbung? Wie Native Advertising den Journalismus untergräbt
Überblick
- Als trojanisches Pferd der Werbebranche in Verruf, imitiert Native Advertising in Online-Nachrichtenmedien gezielt journalistische Beiträge, um werbliche Botschaften zu platzieren.
- Was diese Strategie mit den Rezipient*innen und deren Vertrauen in den Journalismus macht, erforschen Sabine Einwiller und Christopher Ruppel in einem von der KommAustria (Kommunikationsbehörde Austria) geförderten Projekt.
- Das Forschungsprojekt gibt nicht nur Empfehlungen bezüglich einer angemessenen Kennzeichnung, sondern leistet auch Aufklärungsarbeit und Bewusstseinsbildung in der Kommunikationsbranche.
Um Rezipient*innen mit einer Werbebotschaft besser zu erreichen, greifen Werbeschaffende im Rahmen von Native Advertising zu einem Kunstgriff: In Onlineportalen von Nachrichtenmedien platziert, werden Sujets genau so aufbereitet, dass sie von redaktionellen Inhalten kaum zu unterscheiden sind. Was für die Werbung eine vielversprechende Strategie zu sein scheint, birgt ernsthafte Gefahren für den Journalismus, meint Sabine Einwiller vom Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und geht mit Christopher Ruppel der Sache auf den Grund.
Ein medizinischer Ratgeber zu gesunder Kopfhaut, ein Lifestyleartikel über minimalistische Inneneinrichtung oder ein vermeintlich wissenschaftlicher Artikel zum Ursprung verschiedener Lebensmitteltoleranzen: Es ist im Internet oft gar nicht so einfach, Werbung von redaktionellem Inhalt zu unterscheiden. Optisch und inhaltlich als journalistische Beiträge getarnt, fällt diese neue Werbeform kaum als bezahlter Inhalt auf, wenn sie zwischen anderen Artikeln in namhaften Nachrichtenportalen platziert wird. „Trotz Kennzeichnung, die auch gesetzlich vorgeschrieben ist, ordnen Rezipient*innen die Beiträge oft nicht als Werbung ein und werden in ihrer Wahrnehmung getäuscht“, erklärt Sabine Einwiller, die im Rahmen eines Forschungsprojekts Empfehlungen zu Kennzeichnung, Regulierung und Sensibilisierung dieser Werbeform erarbeitet.
Täuschung trotz Kennzeichnung
Die bezahlten Beiträge sind – und das ist im Mediengesetz auch so vorgeschrieben – in der Regel gekennzeichnet. Allerdings sind die Kennzeichnungen häufig klein und wenig auffällig gestaltet. Bei längeren Einschaltungen verschwinden sie zudem meist schon beim ersten Scrollen aus dem Blickfeld. Eine weitere Problematik sind die Begrifflichkeiten, die für die Kennzeichnung gewählt werden. Laut Mediengesetz sind die Begriffe „Werbung“, „Anzeige“ oder „entgeltliche Einschaltung“ gestattet. Allerdings werden in der Praxis auch andere Begriffe verwendet, wie beispielsweise „Sponsored Content“, was nur ca. ein Viertel der Medienkonsument*innen überhaupt richtig einordnen kann, wie eine Befragung von Einwiller und Ruppel unter knapp 1000 Personen gezeigt hat. „Gelernte Mechanismen, wie man mit werblichen Inhalten umgehen kann und will, greifen dann nicht und die Botschaft kann nicht richtig eingeordnet werden“, erklärt Einwiller.
Gefahr für den Journalismus?
Als trojanisches Pferd der Werbeindustrie in Verruf, weicht Native Advertising gezielt die Grenzen redaktioneller und werblicher Inhalte auf. Doch was bedeutet das für den Journalismus? „Wir sehen hier die Glaubwürdigkeit und auch die Unabhängigkeit des Journalismus in Gefahr. Unser demokratisches Grundverständnis weist dem Journalismus als vierte Gewalt eine wichtige Kontroll- und Informationsfunktion zu“, so Teamkollege Christopher Ruppel. „Dafür muss dem Journalismus aber auch vertraut werden, doch das Vertrauen wird durch solche Werbemethoden in Mitleidenschaft gezogen.“ Denn wenn die Medienrezipient*innen nicht klar zwischen bezahlten und journalistischen Inhalten unterscheiden können, weil die Grenzen zwischen Werbung und Journalismus verschwimmen, leidet dieses Vertrauen.
Nachrichtenmedien im Dilemma
Nun stellt sich die Frage, warum Nachrichtenportale diese Art von Werbung schalten, steht sie doch in dem Ruf, die journalistische Glaubwürdigkeit zu unterminieren. Angesichts der digitalen Gratis-Kultur stehen Medien immer mehr vor der Herausforderung, dem Balanceakt zwischen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Anforderungen gerecht zu werden. „Werbung ist schon lange ein nötiges Beigeschäft in einer Branche, die noch immer nachhaltige Geschäftsmodelle sucht“, erklärt Einwiller. Gleichzeitig zeigen erste Ergebnisse, dass sich die Mehrzahl der Journalist*innen sehr wohl demokratischen Idealen verpflichtet fühlt, jedoch kaum einen Einfluss auf die Werbeschaltungen hat. Denn traditionell sind Redaktion und die Anzeigenabteilung voneinander getrennt, was auch sehr wichtig ist. „Daher finden wir es wesentlich, die Auswirkungen von neuen Werbeformen wie Native Advertising aufzuzeigen, um somit dem Journalismus quasi Schützenhilfe zu geben“, ergänzt Ruppel.
Sozialwissenschaftliches Methodenpotpourri
Einwiller und Ruppel erforschen die Thematik mit einem Methodenmix, der kaum eine sozialwissenschaftliche Methode missen lässt. Im Rahmen des Forschungsprogramms der KommAustria, der österreichischen Kommunikationsbehörde, wurde das Auftreten der neuen Werbeform auf österreichischen Nachrichtenportalen zunächst über eine Inhaltsanalyse skizziert. In einem zweiten Schritt wurde mittels Fokusgruppen mit Vertreter*innen aus Agenturen, Unternehmen und Medien (Journalist*innen und Mitarbeiter*innen der Anzeigenabteilung) die Sicht der Berufspraktiker*innen untersucht, während die Wirkung auf Rezipient*innen in qualitativen Interviews, einer repräsentativen Befragung und in Experimenten erforscht wurden. Die Ergebnisse lassen Empfehlungen über die Kennzeichnung und den Umgang mit der neuen Werbeform zu, die das Team nicht nur an den Auftraggeber KommAustria übermittelt, sondern ebenfalls in die Branche trägt.
Aufklärung durch Leitfaden und Events
Allein die Auseinandersetzung mit zahlreichen Werbetreibenden, Medienvertreter*innen und über 1000 Rezipient*innen hat in einem kleinen Rahmen bereits ein besseres Bewusstsein für diese Werbeform geschaffen und Aufklärungsarbeit geleistet. Damit es die Erkenntnisse jedoch wirklich in die Breite schaffen, zieht das Team mehrere Register: Sabine Einwiller, die neben ihrer Professur auch Vorsitzende im österreichischen PR-Ethik-Rat ist, kommuniziert das Thema regelmäßig auf Konferenzen und Branchentreffen, so auch auf dem diesjährigen Kommunikationstag des Public Relations Verbands Austria und der Advertising-Literacy-Tagung an der Universität Wien. Zudem ist ein praktischer Branchenleitfaden zum Thema in Planung, der PR- und Werbeschaffenden als unkomplizierte Anleitung zur Verfügung stehen soll. Das Team hofft so, einen Beitrag zur Professionalisierung der PR- und Werbebranche und zur Wahrung der journalistischen Integrität leisten zu können. (il)
Eckdaten zum Projekt
- Titel: „Native Advertising auf Onlineportalen österreichischer Medien: Vorkommen, Wahrnehmung und Wirkung“
- Laufzeit: 09/2018–02/2020
- Beteiligte und PartnerInnen: Sabine Einwiller, Christopher Ruppel
- Institut: Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft
- Finanzierung: KommAustria (Kommunikationsbehörde Austria)