Wo über Wissen entschieden wird

Überblick

  • Pränataldiagnostik wird ab der neunten Schwangerschaftswoche durchgeführt. Man unterscheidet invasive Methoden, etwa die Fruchtwasseruntersuchung, die eine Schwangerschaft gefährden können, von nicht-invasiven Methoden wie Ultraschall- und Bluttests, deren Durchführung keine Interventionsrisiken bergen.
  • Seit 2012 stehen in der pränatalen Diagnostik weitere Bluttests zur Verfügung: Analysen einer Blutprobe der schwangeren Frau können über Chromosomen und damit auch über mögliche chromosomale Besonderheiten eines Fötus Aufschluss geben, ohne die Schwangerschaft zu gefährden.
  • In einigen europäischen Ländern wird ein solcher Bluttest von den Krankenkassen finanziert, in Österreich müssen werdende Eltern die Kosten selbst tragen.

Eine einfache Blutabnahme bei der werdenden Mutter gibt Aufschluss über die Chromosomen des ungeborenen Kindes. Solche sogenannte Nicht-Invasive Pränatale Tests (NIPT) werden seit ihrer Einführung im Sommer 2012 heftig diskutiert. Welche Argumente in welchen Räumen aufeinandertreffen, untersucht Hertha-Firnberg-Stipendiatin Ingrid Metzler am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung.

In den späten 1990er-Jahren fanden WissenschafterInnen heraus, dass im mütterlichen Blutkreislauf zellfreie DNA des ungeborenen Kindes zirkuliert. Bald gingen aus dieser Erkenntnis neue Instrumente für die pränatale Vorsorge hervor: Mit einem einfachen Bluttest der Schwangeren konnte fortan etwa auf die Anzahl von Chromosomen eines Fötus geschlossen werden, ohne durch eine Fruchtwasseruntersuchung die Schwangerschaft zu gefährden. Damit konnten auch Abweichungen in der Anzahl der Chromosomen, wie etwa die Trisomie 21 (Down-Syndrom), festgestellt werden. Zunächst wurden die Tests in China und den USA eingeführt; seit dem Jahr 2012 sind sie auch in Europa auf dem Markt.

„In Österreich wird der nicht-invasive Bluttest – im Gegensatz zur risikoreichen Nadelpunktierung – nicht von den Krankenkassen übernommen. Frauen, bei denen die gängige Ultraschalluntersuchung Auffälligkeiten gezeigt hat, müssen so zwischen einem gesundheitsgefährdenden, jedoch kostenfreien Eingriff und einer für die Schwangerschaft unbedenklichen, jedoch nicht exakten Blutuntersuchung um rund 600 Euro wählen“, erklärt Ingrid Metzler vom Institut für Wissenschafts- und Technikforschung die aktuelle Handhabung in Österreich.

Frauen fällen ihre Entscheidungen in bestimmten Kontexten – mich interessiert, wie diese Kontexte gestaltet sind

In ihrem Hertha-Firnberg-Projekt untersucht Metzler die Arenen, in denen Nicht-Invasive Pränatale Tests (NIPT) diskutiert werden. Dafür folgt sie dem Test an verschiedene Orte – Orte, an denen er entwickelt, angewandt, befürwortet bzw. problematisiert und reguliert wird. Sie analysiert offizielle Dokumente, untersucht Einträge in Internetforen, interviewt zentrale AkteurInnen wie Eltern und ÄrztInnen, besucht wissenschaftliche Konferenzen und führt Beobachtungen durch.

„Auf der einen Seite plädieren Firmen für die staatliche Finanzierung des Tests mit dem Argument, dass das bisherige diagnostische Verfahren zur Feststellung von Trisomien ein hohes Risiko für die Schwangerschaft berge. Auf der anderen Seite fürchten kritische Stimmen eine ‚Rasterfahndung‘ nach Menschen mit Beeinträchtigungen. Sie appellieren an die Verantwortung des Staates, eben diese zu verhindern“, zeichnet Metzler die Diskussionen nach.

Technologie ist nie schwarz oder weiß

Die Sozialwissenschafterin hat für ihr Projekt ein „schwieriges Thema“ gewählt. „Es geht um konkrete Menschen, Entscheidungen von Frauen, Behinderungen und Schwangerschaftsabbrüche“, erklärt Metzler: „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich alleine durch den Umstand, dass ich alle Seiten ernst nehme und gewisse Standpunkte nicht a priori ablehne, Skepsis generiere.“ Doch gehört es zu Metzlers Forschungscredo, dass sie die eigene Position nicht verabsolutiert, sondern versucht, unterschiedliche Perspektiven zu erheben, denn „Technologie ist nie schwarz oder weiß“.

Ganz viel Politik findet in privatisierten Räumen statt

Was darf eine Mutter über ihr ungeborenes Kind wissen? Was ist „richtiges“ oder „falsches“ Handeln von werdenden Eltern? Was ist „gute Fürsorge“? Nach welchen Krankheiten soll mit dem NIPT gesucht werden und wer finanziert das Verfahren in Zukunft? Diese Fragen betreffen die Gesellschaft, werden aber nicht mit dieser ausverhandelt – so ein Forschungsergebnis von Metzler: „Ein Großteil der Politik um die pränatale Diagnostik spielt sich nicht in politischen, sondern in privaten Räumen ab. Zentrale AkteurInnen sind Firmen, die miteinander im Wettstreit stehen, professionelle Organisationen, die Leitlinien verabschieden, und PraktikerInnen, die Tests anwenden.“

Dieses Phänomen zeige sich nicht nur in der Pränataldiagnostik, auch bei anderen Anwendungen an der Schnittstelle von Fortpflanzung und Genetik wie etwa CRISPR oder bei der Präimplantationsdiagnostik. Hier habe in den letzten Jahrzehnten de facto eine Privatisierung stattgefunden, erklärt Metzler, die sich schon in Vorgängerprojekten mit dem Verhältnis zwischen „Post-Genomik“ und „Post-Demokratie“ beschäftigte. Ein Stück weit macht sie dafür die Sozialwissenschaften mitverantwortlich: „Wir haben die Entwicklungen zu lange aus einer kritischen Distanz beobachtet. Nun müssen wir anfangen, darüber nachzudenken, wie wir als Gesellschaft mit diesen Technologien umgehen und sie mitgestalten können. Wir müssen von der bloßen Kritik zu einem konstruktiven Beitrag kommen.“

Sozialwissenschaften können eine Reflexion und kollektives Lernen anstoßen

Konkrete Ideen dafür hat sie auch schon: „Die Niederlande haben begonnen, experimentelle Räume aufzumachen. Der Test wird dort finanziert, und gleichzeitig wurden Strukturen geschaffen, um die Folgen in der Praxis zu verstehen. So wird zum Beispiel dokumentiert, wie häufig und in welchem Kontext der Test verwendet wird, um mehr über die Frauen und ihre Beweggründe zu erfahren – das ist meiner Meinung nach ein Schritt in die richtige Richtung.“ (hm)

Eckdaten zum Projekt

  • Titel: „Die Neuerfindung pränataler (Vor-)Sorge“
  • Laufzeit: 08/2016 – 01/2020
  • Beteiligte und PartnerInnen: Ingrid Metzler
  • Institut: Institut für Wissenschafts- und Technikforschung
  • Finanzierung: FWF – Der Wissenschaftsfonds (Hertha-Firnberg-Stipendium)

 Wissenschaftliche Beiträge

  • Metzler, I., Pichelstorfer, A. (forthcoming). Embryonic silences: Human life between biomedicine, religion, and state authorities in Austria. In Weiberg-Salzmann, M., Willems, U. (Eds.), Religion and Biopolitics. Springer.
  • Jasanoff, S., & Metzler, I. (2018). Borderlands of Life: IVF Embryos and the Law in the United States, United Kingdom, and Germany. Science, Technology & Human Values, 1-37. DOI: 10.1177/0162243917753990 (Open Access).
  • Metzler, I. (2016). Human life between biology and law in Germany. In S. Prozorov, & S. Rentea (Hrsg.), The Routledge Handbook of Biopolitics (S. 295-312). London and New York: Routledge. DOI: 10.4324/9781315612751.

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