Auf hölzernem Untergrund ragen von rechts etwa ein Dutzend Maßbänder dicht hintereinandern quer in das Bild

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Die Verführung des Messbarmachens

Überblick

  • Sozialwissenschaftliches Wissen gelangt auf vielfältige Weise in die Gesellschaft und wird dort ebenso vielfältig rezipiert.
  • Der gesellschaftliche Impact ist im Rahmen bestehender Verfahren nicht messbar.
  • Das größte Potenzial für die Sichtbarmachung des sozialwissenschaftlichen Wirkens liegt bei den Institutionen, indem sie die Schaffung von Impact-Möglichkeiten anerkennen und wertschätzen.

Tweets lassen sich zählen, Wortmeldungen in Medien oder gehaltene Vorträge auch – doch wie steht es um den gesellschaftlichen Impact von wissenschaftlicher Forschung? Ulrike Felt und Max Fochler vom Institut für Wissenschafts- und Technikforschung sind in einer explorativen Studie dem Wirken der Sozialwissenschaften nachgegangen. Ein Fazit: Wir sollten uns nicht so sehr auf das Messbarmachen konzentrieren, sondern über neue Erzählformen für die Forschung nachdenken.

Gemeinsam mit Jugendlichen zivilcouragiertes Handeln im Internet ausloten, auf die öffentliche Erinnerungskultur im urbanen Raum einwirken oder EntscheidungsträgerInnen über die Lage abgelehnter AsylwerberInnen aufklären: Die Wege, über die sozialwissenschaftliches Wissen in die Gesellschaft gelangt, sind vielfältig. Dass sie mitunter schwer nachvollziehbar sind, haben die deutschen Soziologen Ulrich Beck und Wolfgang Bonß (1989) bereits in den späten 1990er- Jahren gewusst: „Erfolgreich praktisch werden sozialwissenschaftliche Interpretationsangebote in der Regel dann, wenn sie im Bewusstsein von Alltag und Politik scheinbar ‚'spurlos'‘ verschwinden.“

Nichts desto trotz wird seit einigen Jahren die Frage nach dem gesellschaftlichen Impact der Sozialwissenschaften mit Nachdruck gestellt und WissenschafterInnen werden in die Pflicht genommen, die Relevanz ihrer Forschung zu „beweisen“. Ob und wie Messbarmachen von sozialwissenschaftlichem Impact funktionieren kann, versuchten nun Ulrike Felt und Max Fochler vom Institut für Wissenschafts- und Technikforschung, mit einer explorativen Studie im Auftrag des Rats für Forschung und Technologienentwicklung zu klären.

Die Perspektiven erfahrener ForscherInnen erheben

In einem ersten Schritt nahmen sich Fochler und Felt bereits existierende Literatur vor und sprachen mit internationalen ExpertInnen, um herauszufinden, welche Erfahrungen in anderen Ländern bei dem Versuch der Impactmessung gemacht wurden. Im Anschluss daran führten sie 18 Interviews mit ForscherInnen aus den „klassischen“ sozialwissenschaftlichen Disziplinen, die an österreichischen Universitäten an mehreren Standorten vertreten sind: Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft und Soziologie. „Es ging uns darum, die Perspektiven erfahrener Forschender in einem universitären Kontext zu erheben und zu verstehen, welche Bedeutung die Sozialwissenschaften in der Gesellschaft haben“, so Fochler.

Wege der Forschung in die Gesellschaft

  • Präsenz in klassischen und neuen Medien
  • Publikationen für spezifische Öffentlichkeiten
  • Vorträge und Workshops
  • Tätigkeit in Beiräten
  • Formen der Politikberatung
  • kollaborative Forschung mit gesellschaftlichen Akteuren und Akteurinnen
  • Lehrtätigkeit als gesellschaftsgestaltende Aufgabe

Die befragten ForscherInnen sehen eine Vielfalt an Wegen, über die ihre Forschung in die Gesellschaft findet. Mehr dazu im Abschlussbericht der explorativen Studie.

Ein Blick über die Grenzen hinaus

In Großbritannien wird seit einigen Jahren auf sogenannte Impact Cases zurückgegriffen, um die gesellschaftliche Relevanz der Forschung zu erheben, wobei dies auch die staatliche Förderung der Universitäten nicht unmaßgeblich beeinflusst. „ForscherInnen müssen Fälle präsentieren, in denen ein Akteur – beispielsweise der Gesetzgeber im Falle einer Gesetzesänderung – nachweislich auf ihr Wissen Bezug nimmt“, erklärt Ulrike Felt. Sie hält diese Entwicklung für fragwürdig, da die Verweisregel in den Sozialwissenschaften, anders als in den Naturwissenschaften, nicht sehr ausgeprägt sei: „In der politischen Praxis wird man meist vergeblich nach einer sozialwissenschaftlichen Referenz suchen. Die kausale Zuordnung einer bestimmten gesellschaftlichen Wirkung zu einem bestimmten Output aus der Forschung ist in den allermeisten Fällen nahezu unmöglich.“

Wir müssen mit Begriffen und Methoden des Erfassens sorgfältig umgehen

Im Laufe des Forschungsprozesses und im Kontakt mit dem Feld lernten Felt und Fochler, dass die Begriffe Relevanz, Sichtbarkeit und Impact in der aktuellen Debatte – zum Teil auch von ihnen selbst – nicht trennscharf verwendet werden. „Die Ausdrücke werden regelrecht durcheinandergewirbelt, dabei sind gerade die Begriffsunterschiede enorm wichtig“, so ihr Plädoyer. Ein Beispiel: Ein Tweet, der sich gut auf Twitter verbreitet, ist vielleicht sichtbar, sagt aber noch lange nichts über die Relevanz, geschweige denn den Impact der Forschung aus, sondern vielmehr über das Netzwerk der jeweiligen Person.

Grafik erläutert Zusammenhänge und Differenzen der Kategorien Relevanz, Sichtbarkeit und Impact

Beziehungen zwischen den Kategorien Relevanz, Sichtbarkeit und Impact. In: Ulrike Felt u. Maximilan Fochler, Der gesellschaftliche Impact sozialwissenschaftlichen Wissens in Österreich: Wirkungswege, Messung, Potentiale. Abschlussbericht, Oktober 2018 S. 43, Abb. 4.

Vorbedingungen für Impact sind besser erfass- und messbar als der eigentliche Impact selbst

Ob ein Forschungsergebnis in die Gesellschaft hineinwirkt und schlussendlich Impact hat, können WissenschafterInnen nur bedingt beeinflussen. Wofür sie aber im Forschungsprozess Verantwortung übernehmen können, ist die Schaffung von Vorbedingungen für Impact – so ein zentrales Ergebnis der Studie. „ForscherInnen können die Sichtbarkeit und gesellschaftliche Relevanz erhöhen und damit eine Grundlage für potenziellen Impact schaffen, konkret also ihr Wissen so aufbereiten, dass es für viele nutzbar ist, sie können mit Interessierten sprechen und eine Art Übersetzungstätigkeit leisten.“

Im Hinblick darauf sind jedoch nicht nur die ForscherInnen gefragt, sondern auch die Forschungsinstitutionen: In der Studie kam zutage, dass die Universitäten sich zwar auf einer diskursiven, abstrakten Ebene für den Societal Impact oder die Third Mission einsetzten, konkret aber wenig dafür unternähmen. „Mit den geringsten Ressourcen am meisten erreichen könnten Institutionen dann, wenn sie Beiträge zur Schaffung von Impactbedingungen als Leistung entsprechend anerkennen würden“, so die Empfehlung von Felt und Fochler.

Es gibt die gesellschaftliche Relevanz, aber auch die wissenschaftliche und kritische Relevanz

Universitäten sind jene Orte, an denen Fragen gestellt werden und nach Antworten gesucht wird. Die Wissenschaft darf aber nicht nur die Entwicklungen einer Epoche unterstützen, sondern muss auch entgegen dem Zeitgeist denken und manchmal „unbequem“ sein, davon sind Felt und Fochler überzeugt. „Bestätigendes Wissen hat zwar eine höhere Chance, zur Impact Story zu werden, doch wenn wir uns als ForscherInnen nur noch daran orientieren, steht die Wissenschaft vor einem Bankrott.“

Neue Erzählformen schaffen

Der Mehrwert der hitzig geführten Diskussion um den Impact liegt nach Felt und Fochler darin, dass neue Erzählformen kultiviert werden: „ForscherInnen sind dazu angehalten, ihre Arbeiten und Themen für Außenstehende zu öffnen – dadurch entstehen spannende Interaktionen. Wir sollten uns von der Idee, alles quantifizieren zu müssen, verabschieden und über eine neue Gesprächskultur in puncto Forschung nachdenken.“ (hm)

 

Referenzen
Beck, Ulrich / Bonß, Wolfgang (Hg.) (1989): Weder Sozialtechnologie noch Aufklärung? Analysen zur Verwendung sozialwissenschaftlichen Wissens. Frankfurt: Suhrkamp.

Eckdaten zum Projekt

  • Titel: „Der gesellschaftliche Impact sozialwissenschaftlichen Wissens in Österreich: Wirkungswege, Messung, Potentiale“
  • Laufzeit: 01/2018 – 09/2018
  • Beteiligte und PartnerInnen: Ulrike Felt und Maximilian Fochler; Lisa-Maria Ferent (Projektassistenz)
  • Institut: Institut für Wissenschafts- und Technikforschung
  • Finanzierung: Rat für Forschung und Technologienentwicklung

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