Zeichnung auf einem Din A4 Blatt, worauf ein Handy-Screen und der Name „APPly“ gemalt ist

Entwurf zum Namen der App, der von einer Jugendlichen im Rahmen eines Workshops im WUK erstellt wurde. ©We:Design

Jugendliche werden zu Expert*innen der App-Entwicklung

Überblick

  • In dem Projekt We:Design geht es darum, Herausforderungen zu verstehen, denen Jugendliche sich beim Zugang zum Arbeitsmarkt stellen müssen.
  • Ein Ziel ist dabei die Entwicklung einer kostenlosen, niederschwelligen Open-Source App, die vor allem Jugendliche ohne entsprechende digitale Infrastruktur beim Bewerbungsprozess unterstützen soll. Diese App erlaubt, Bewerbungsunterlagen direkt am Handy zu erstellen, und somit weder von einem Computer noch von einer Textverarbeitungssoftware abhängig zu sein.
  • Das transdisziplinäre Forschungsteam, welches Perspektiven aus der Kultur- und Sozialanthropologie, Informatik und Digitalisierungsbildung vereint, hat eine partizipative Herangehensweise gewählt und Jugendliche in den gesamten Entwicklungsprozess der Bewerbungs-App eingebunden.

Welchen Schwierigkeiten begegnen Jugendliche beim Bewerbungsprozess, insbesondere im Hinblick auf digitale Ungleichheiten? Und wie können Jugendliche bei diesem Prozess, mithilfe einer gemeinsam entwickelten App, besser unterstützt werden? Diesen Fragen widmete sich ein Team um die Kultur- und Sozialanthropologin Suzana Jovicic und die Informatikerin Barbara Göbl, die über einen Zeitraum von rund eineinhalb Jahren diverse Workshops mit Jugendlichen vom WUK work.space und einer Schulklasse der Schule „HAK AUL Flora Fries“ zur Thematik durchführten.

Die Idee für das Projekt kam nach einer Feldforschung, die Suzana Jovicic in Wiener Jugendzentren durchführte. „Da habe ich gemerkt, dass viele Jugendliche die Institution auch nutzen, um dort an den Computern Bewerbungen zu schreiben, da sie oft keinen Computer besaßen, oder Schreibprogramme entweder nicht hatten oder nutzen konnten“, erzählt die Kultur- und Sozialanthropologin. Hierbei sind die Jugendlichen zum einen auf die Öffnungszeiten der Jugendzentren angewiesen, welche beispielsweise während der COVID-19 -Lockdowns geschlossen waren. Andererseits nutzen junge Menschen grundsätzlich  immer weniger einen Computer, sondern greifen häufiger auf ihr Smartphone zurück, dessen Bedienung intuitiver für sie ist. „Daher hatten Barbara Göbl und ich die Idee, ein partizipatives Projekt zu machen, wo wir mit den Jugendlichen gemeinsam eine App zum Erstellen von Bewerbungen und Lebensläufen am Handy entwickeln“, so Jovicic. Dabei bekamen die beiden dann sowohl Unterstützung vom Vienna Visual Anthropology Lab unter der Leitung von Sanderien Verstappen, als auch vom Computational Empowerment Lab, welches von Fares Kayali geleitet wird.

 Partizipatives Forschungsdesign

„Im Gegensatz zu einem weit verbreiteten Herangehen in der Informatik, wo die Personen, für welche entwickelt wird, im Entwicklungsprozess nur als Informant*innen gesehen werden, die dann wenig tatsächliches Mitspracherecht haben, wollten wir mit dieser partizipativen Herangehensweise von Beginn an die Jugendlichen mit ins Boot holen und aktiv in das Projekt einbinden“, erklärt Barbara Göbl. „Das hat auch mit Empowerment zu tun, wenn die Teilnehmenden sich als Expert*innen und aktive Designer*innen erleben können, und das ist ein zentraler Wert des Computational Empowerment Labs“. Auch Suzana Jovicic betont, wie wichtig es ihnen im Projekt war, immer wieder zu kommunizieren, dass die Jugendlichen die Expert*innen und Co-Designer*innen auf Augenhöhe sind. Das versuchten sie, wo möglich, auch in Form von Gutscheinen, Einladungen zum Essen oder der Mitnahme von Snacks zu entlohnen.

Konkret gab es zu Beginn des Projektes eine Recherchephase, wobei Jugendliche des HAK AUL Flora Fries miteinander Interviews zum Bewerbungsprozess, der Rolle von digitalen Technologien, und über Schwierigkeiten mit ebendiesen Technologien führten. „Darüber hinaus fanden auch Brainstormings zur Problemidentifikation sowie Interviews mit den Jugendlichen und den Trainer*innen vom WUK work.space, einer AusbildungsFit-Maßnahme für Jugendliche, die zwischen Schule und Ausbildung oder Beruf stehen, statt“, sagt Suzana Jovicic.

Foto von einem Plakat, auf dem eine Mindmap zu sehen ist.

Brainstorming zu Problemen beim Bewerbungsprozess. © We:Design

Als Teil dieser Recherchephase entwickelten die Jugendlichen vom WUK work.space zudem Kurzfilme zur Exploration des Themas „Beruf und Bewerbungen“. Hierbei ging es zum einen darum, gemeinsam mit den Jugendlichen einen Prozess der Filmerstellung, vom Konzept über das Filmen und das Schneiden hin zum fertigen Film, zu durchlaufen. Daher wurden die Jugendlichen in einer Reihe von Workshops durch diesen Prozess begleitet. Andererseits bot das Filmemachen den Jugendlichen einen Raum, sich kreativ mit der Thematik auseinanderzusetzen und in künstlerischer Weise ihre Perspektiven und Probleme im Hinblick auf das Thema darzustellen. Das Medium Film bietet hierbei eine andere Form der Kommunikation als beispielsweise Interviews, wodurch auch andere Inputs generiert werden können.  Suzana Jovicic erzählt: „Die Jugendlichen haben wirklich tolle Filme gemacht, mit sehr unterschiedlichen Medien. Wir haben dann ein Screening der Filme im Top Kino gehabt, wo es im Anschluss an die Filmvorstellungen auch eine Q&A Session mit den Filmemacher*innen gab und wir Fragen sowohl zu ihren künstlerischen Visionen als auch zum Thema selbst stellen konnten“.

Anschließend an diese erste Recherchephase konnte die App-Entwicklung beginnen. „Wir haben den gesamten Entwicklungsprozess mit einer weiteren Reihe von Workshops begleitet, um von Beginn an ihre Perspektiven einzuholen und gemeinsam den gesamten Prozess der App-Entwicklung zu durchschreiten. Wir haben zwar Tools zur Verfügung gestellt und den Prozess ein bisschen angeleitet, die inhaltlichen Schritte kamen aber von den Jugendlichen selbst.“

Dabei definierten die Jugendlichen unterschiedliche Anforderungen, überlegten sich wer potentielle Nutzer*innen sein könnten und entwickelten Prototypen auf Papier, um einzufangen, wie die App aussehen und was sie können sollte. „Das wurde dann auch immer wieder in Zyklen zwischen den Jugendlichen und uns weiterentwickelt“, so Göbl und betont weiter: „In so einem partizipativen Design-Prozess geht es auch immer um ein gegenseitiges voneinander Lernen auf beiden Seiten. Wir kommen nicht von der Uni als die Expertinnen an und sagen, wie es gemacht gehört – auch für uns ist es ein kontinuierliches Lernen.“ Sanderien Verstappen hebt hier hervor, dass es eben nicht nur um das Endprodukt Bewerbungsapp, sondern wirklich um den ganzen Prozess von Anfang bis Ende geht. Diese Haltung erlaubt, dass die Perspektiven der Jugendlichen nicht nur miteingeholt werden, sondern eigentlich das Zentrum des Projektes bilden. So kann auch ein viel tieferes Verständnis der Bedürfnisse der Jugendlichen seitens der Forschenden erreicht werden. Darüber hinaus profitieren die Jugendlichen auch insofern von der Durchschreitung dieses gesamten Weges, da sie lernen, welche Schritte zu einer App-Entwicklung dazu gehören und was alles dahinter steckt.

 Angst vor dem Anfangen nehmen

Verstappen erzählt, dass Angst immer wieder ein großes Thema war: „Einige Jugendliche mit denen wir gearbeitet haben, hatten oft Angst vor dem Anfangen. Gerade zu Beginn der Kurzfilmentwicklungen war es sehr auffällig, dass einige eher ängstlich und zurückhaltend waren. Sowohl die Trainer*innen vom WUK als auch das Forschungsteam sind damit sehr geduldig umgegangen und haben den Jugendlichen viel Raum dafür gegeben.“ Bei dieser Angst und Hemmung vor dem Umgang mit wenig vertrauten Technologien spielt auch das Selbstbewusstsein eine Rolle. Suzana Jovicic erklärt: „Durch die schrittweise Begleitung haben wir, sowohl beim Filmemachen also auch bei der App-Entwicklung versucht, dass es sich weniger wie ein technischer Prozess, sondern mehr wie ein kreativer Prozess anfühlt, in dem die Jugendlichen beispielsweise eine komplexe Software zum Schneiden von den Filmen beinahe beiläufig erlernen konnten.“ Barbara Göbl ergänzt: „Gerade der Einstieg in die Auseinandersetzung mit Technologie ist oft sehr schwierig, und wir freuen uns sehr, dass wir den Jugendlichen hier zur Seite stehen und das ein Stückweit ermöglichen konnten.“

 Einblicke in Berufsbilder

Als Teil der partizipativen Herangehensweise versuchten die Forschenden darüber hinaus, den Jugendlichen Einblicke in verschiedene Berufsbilder zu geben, um auch hier das Selbstbewusstsein der Jugendlichen zu fördern und einen möglichen Einstieg zu erleichtern. „So haben wir laufend versucht, zu zeigen, wo im Prozess wir uns gerade befinden, wie die Jugendlichen dazu beitragen, und welche unterschiedlichen Berufe es an den jeweiligen Stellen der App-Entwicklung gibt.“, erzählt Suzana Jovicic.

Um den Jugendlichen breitere Einblicke in technologische Berufe geben zu können, wurden auch geführte Besuche bei dem Game Development Studio Broken Rules und zur Fraunhofer Pilotfabrik der TU Wien, welche sich mit intelligenter Produktion beschäftigt, organisiert. „Dabei ergaben sich spannende Gespräche zwischen den Mitarbeiter*innen und den Jugendlichen, wobei es um Möglichkeiten zum Berufseinstieg, den Zugang zu Wissen, oder den nötigen Fähigkeiten in derartigen Berufen ging. Dabei konnten wir den Jugendlichen zeigen, dass sehr viele unterschiedliche Berufe existieren, die unterschiedliche Stärken fordern, und es, entgegen gängiger Vorurteile, nicht nur wichtig ist, gut in Mathe zu sein“, erinnert sich die Kultur- und Sozialanthropologin.

Darüber hinaus besuchten die Jugendlichen vom WUK work.space das Computational Empowerment Lab an der Uni Wien, wo sie unterschiedliche Technologien ausprobieren konnten. Dabei betont Suzana Jovicic: „Es war uns auch wichtig, dass wir nicht immer nur zu ihnen kommen, sondern sie auch zu uns. Wir wollten, dass sie diesen universitären Raum kennenlernen, und zwar auch als Raum, in welchem ihre Expertise gefragt und willkommen ist.“

 APPly

Durch das partizipative Forschungsdesign gelang es, nicht nur die kostenlose App mit dem Namen „APPly“ zu entwickeln, die Jugendlichen das Schreiben und Verwalten von Bewerbungsunterlagen am Handy ermöglicht, sondern auch, zentrale Bedürfnisse eben jener Jugendlicher einzufangen, wie zum Beispiel die Niederschwelligkeit. Das bedeutet, dass die App einfach zu bedienen sein soll. Sie funktioniert auf unterschiedlichen Betriebssystemen, offline und ohne Login oder Registrierung, da die Daten aus Datenschutzgründen nur lokal gespeichert werden. Zudem verzichtet die App auf komplizierte Sprache und bietet eine Rechtschreibfunktion an.

Besonders wichtig für die Entwicklung war zudem auch die von den Jugendlichen eingebrachte Idee zu einer Organisationsfunktion, weshalb ein Kalender für Termine und Erinnerungen hinzugefügt wurde. „Ein großes Thema ist, dass die Jugendlichen oftmals überhaupt keine Rückmeldungen von Firmen bezüglich ihrer Bewerbungen erhalten“, so Jovicic. „APPly kann zwar das Gefühl von ‚ich bekomme keine Rückmeldung‘ nicht nehmen, wir haben jedoch die Möglichkeit eingebaut, sich zu erinnern nochmal konkret nachzufragen. Im FAQ Bereich der App haben wir außerdem erläutert, dass es ganz normal ist, keine Rückmeldung zu bekommen.“ Gerade bei Jugendlichen in einer oft unsicheren Übergangsphase sieht es die Wissenschafterin jedoch eigentlich als sehr wichtig an, eine Rückmeldung von der Umwelt zu bekommen, was in der Verantwortung von Firmen liegen sollte. „Das, und auch der schwierige Zugang zum Arbeitsmarkt für bestimmte Jugendliche, sind aber größere gesellschaftliche Probleme, die können wir natürlich nicht mit einem eineinhalb Jahre langem Projekt lösen“, gibt sie zu bedenken.

APPly wurde im September 2023 veröffentlicht und ist über Google Play Store verfügbar (die iOS Version ist geplant). Die App wurde dabei im Zuge einer Launch-Veranstaltung von den Entwickler*innen präsentiert. Auch Jugendliche des WUK work.space wurden in die Veranstaltung eingebunden und veröffentlichten einen Radiobeitrag über die Veranstaltung und die App.

Die Forschenden hoffen, dass mit Hilfe von APPly Jugendlichen der Bewerbungsprozess etwas erleichtert werden kann. „Das Projekt ist dabei Open-Source angelegt, das bedeutet die Hoffnung ist, dass andere es auch weiterentwickeln werden“, sagt Suzana Jovicic. Barbara Göbl ergänzt, dass sich hier alle Leser*innen angesprochen fühlen dürfen. Die Software wird über die Open-Source Plattform GitHub zur Verfügung gestellt und wurde von dem Forschungsteam dabei so lizensiert, dass eine Weiterentwicklung nur im Sinne des Projektes, also als nicht-kommerzielle App, stattfinden kann. Die Idee dahinter ist, dass so die App stetig weiterentwickelt werden und breite Anwendung finden kann, um die Jugendlichen bestmöglich bei ihren Bewerbungsvorhaben zu unterstützen. (ht)

Eckdaten zum Projekt

  • Titel: We:Design
  • Laufzeit: 02/2022 – 10/2023
  • Projektteam: Suzana Jovicic, Barbara Göbl, Leo Luttenberger, Viktoria Paar, Sanderien Verstappen, Fares Kayali
  • Beteiligte und Partner*innen: Mediatised Lifeworlds, Vienna Visual Anthropology Lab, Computational Empowerment Lab, WUK work.space (Christine Caran, Zoran Sergievski), HAK AUL Flora Fries, Verein Wiener Jugendzentren, Fraunhofer Austria
  • Institut: Institut für Kultur- und Sozialanthropologie & Zentrum für Lehrer*innenbildung
  • Finanzierung: Digitalisierungsfonds Arbeit 4.0 der AK Wien

 We:Design Projektabschluss und Launch von APPly