Arbeit, Umwelt und ein Wohlstandsbegriff mit Zukunft?
Überblick
- Mehr Zeit für Flugreisen, mehr Geld für Konsumgüter – je nach Definition ist unser Wohlstandsverständnis nicht immer mit einem umwelt- und zukunftsbewussten Handeln vereinbar.
- Im Trafo-Labor-Projekt hinterfragen österreichische Gewerkschafter*innen gemeinsam ihren Wohlstandsbegriff und klopfen ihn auf seine sozioökonomische Kompatibilität ab.
- Man ist sich einig: Ohne einen zukunftstauglichen Planeten ist ein hoher Lebensstandard kaum realisierbar. Ein moderner Wohlstandsbegriff kann also nicht nur auf das Wirtschaftswachstum reduziert werden.
Sie kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen und Wohlstand: Gewerkschaften, Betriebsräte und andere Interessenvertretungen haben sich der Gerechtigkeit verschrieben. In Zeiten von Digitalisierung, Flexibilisierung und Prekarisierung unserer sich entgrenzenden Arbeitswelt positionieren sie sich als Gegenpol. Verbunden im Kampf für den Wohlstand, stehen die unterschiedlichen Vereinigungen jedoch kaum miteinander im Dialog. Doch zunächst: Was bedeutet Wohlstand eigentlich?
„Besonders in Österreich definieren Gewerkschaften einen hohen Lebensstandard meist als Zeitwohlstand gepaart mit materiellen Gütern, was mit guten Arbeitsbedingungen einhergehen soll“, erklärt Ulrich Brand vom Institut für Politikwissenschaft. Ein einseitiger Wohlstandsbegriff wird oft auf Kosten der Umwelt definiert, wobei vergessen wird, dass eine gesunde Umwelt gleichzeitig einen großen Einfluss auf unseren Lebensstandard hat. Als Professor für Internationale Politik weist er immer wieder auf die globalen Ursachen von ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Krisen hin. Zudem sieht er eine mögliche internationale Vorreiterrolle Österreichs bei sozial-ökologischen Umbauprozessen.
Dies kann jedoch auf unterschiedlichen Ebenen mit sozialökonomischen Fortschritt, also einer umwelt- und zukunftsbewussten Definition von Wohlstand kollidieren.
In seinem vom österreichischen Klima- und Energiefonds (KLIEN) geförderten Trafo-Labour Projekt analysiert Brand gemeinsam mit österreichischen Gewerkschaften den herrschenden Wohlstandsbegriff, um ihn dann zur Diskussion zu stellen. Dabei spielen die konkreten Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle: „Die Entgrenzung der Arbeitszeit mit all ihren Vorzügen erschwert beispielsweise die Bildung von Fahrgemeinschaften und führt damit tendenziell zu mehr Individualverkehr. Und es kann zu paradoxen Effekten kommen: Ein höherer Lohn kann zu unbedachtem Konsum führen und mehr Freizeit führt möglicherweise zu einem erhöhten CO2-Verbrauch durch eine zusätzliche Flugreise“, erklärt der Politikwissenschafter.
Ohne saubere Luft und einen zukunftstauglichen Planeten ist ein hoher Lebensstandard kaum realisierbar.
Daher stellt sich die Frage: Kann ein unökologischer Wohlstandsbegriff überhaupt noch zeitgemäß sein? Da Gewerkschaften und Betriebsräte ganz zentrale Akteur*innen bei der Gestaltung unserer Arbeits- und Lebenswelt, unseren Wertevorstellungen und auch bei der Herausbildung politischen Bewusstseins bei Arbeitnehmer*innen sind, ist der von ihnen vertretene Wohlstandsbegriff wichtig, um einen sozial-ökologischen Umbau voranzutreiben. Solch eine Transformation ist schon lange Gegenstand wissenschaftlicher Debatten und zeigt, dass es nicht nur um die angemessenen politischen Rahmenbedingungen geht, sondern auch um Faktoren wie Bewusstsein, Macht und Einfluss.
Mit unserer Forschung visieren wir aktiv unterschiedliche Entry Points an, um ein sozial-ökologisches Bewusstsein in den Diskurs zu bringen.
Im Rahmen seines Forschungsprojekts führte das Team um den Politikwissenschaftler nach einer Kickoff-Veranstaltung insgesamt vier Stakeholder-Dialoge mit der Arbeiterkammer und den Gewerkschaften Bau-Holz, Pro-Ge, und Vida durch. Dort wurde das vorherrschende Wohlstandsverständnis partizipatorisch aufgearbeitet, um es in einem zweiten Schritt auf seine sozioökonomische Kompatibilität abzuklopfen. In Kooperation mit der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA), dem Institut für Höhere Studien (IHS) und der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) fokussierte das Projekt auf die Bereiche Konsumpolitik, Arbeitszeitverkürzung, Energie- und Mobilitätspolitik.
Wie wir es schon aus einem Vorgängerprojekt mit Klimaskeptiker*innen kennen, herrscht in Österreich ein „klimapolitischer Korporatismus“.
Klimapolitik wird in Österreich oftmals – und in der EU-Krise tendenziell verstärkt – den Themen ökonomisches Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und der Schaffung von Arbeitsplätzen nachgereiht. „Dieses Verständnis fand sich – oft zur Überraschung der Teilnehmenden – unterschwellig in mehreren Bereichen, vor allem in der Bildungspolitik der Gewerkschaften“, so Brand. Dazu kommt: „Das Thema ‚Umwelt‘ wurde in den letzten 20 Jahren regelrecht aus dem Bildungsangebot verbannt, da es als reine politische Position behandelt wurde. Das war den Verantwortlichen so nicht bewusst.“
Endlich kann ich mal mit der Pro-Ge Tacheles reden...
Das Trafo-Projekt nimmt durch die Workshops auch eine Vermittlungs- und Vernetzungsposition ein und schafft so einen Kommunikationsraum, der vorher nicht existierte. „Endlich treffe ich mal die Gewerkschafter*innen, die zum gleichen Thema arbeiten“, merkte eine Vertreterin der Arbeiterkammer bei einem Dialog an. Im Dialog wurde auch an der Erstellung von Best Practice-Beispielen gearbeitet, die Vorschläge zur Bildung von Fahrgemeinschaften, nachhaltiger Verwendung von Lebensmitteln in Kantinen sowie innovativen Energiesparmaßnahmen zusammenfassen. Damit die erarbeiteten Vorschläge auch wirklich rezipiert werden, werden sie vom Forschungsteam über die eigens dafür eingerichtete Homepage kommuniziert.
Unsere Impulse geben wir durch den Reflexionsanstoß zunächst nach innen, jedoch lassen sich auch Policy-relevante Auswirkungen nicht ausschließen.
Bewusstsein schaffen, zur Reflexionen und zu gesellschaftlicher Aufbruchsstimmung anregen – auch das kann Wissenschaft leisten. In einem Folgeprojekt arbeitet das Team an der politischen Verankerung eines umfassenden Wohlstandsindikators jenseits der Fixierung auf das Wirtschaftswachstum. Für Brand ist das nur im partizipatorischen Prozess zu leisten. „Das Wissen also nicht nur zu extrahieren, sondern gemeinsam und direkt im Feld zu generieren. Es macht keinen Sinn, diese großen Fragestellungen getrennt vom Feld im berüchtigten Elfenbeinturm zu bearbeiten, denn dann bleiben sie ja auch dort stecken.“ Die wissenschaftliche Debatte und das Feld sind also keine voneinander getrennten Sphären, sondern bedingen sich gegenseitig und stehen in einem wechselseitigen Verhältnis.
An der Thematik zeigt sich der besondere Charakter sozialwissenschaftlicher Forschung: Forschung kann genauso direkt in die Gesellschaft wirken, wie die Gesellschaft die Forschung bedingt. Der Forschungsprozess muss dem nur einen Freiraum geben.
Eine wichtige Übersetzungsarbeit der Forschungsergebnisse in die Gesellschaft hinein leistete die Workshop- und Diskussionsveranstaltungsreihe „Die Zukunft von Arbeit und Wohlstand“, die zwischen Oktober 2016 und Juni 2017 an den Wiener Volkshochschulen stattfand. Auch der Blog Arbeit und Wirtschaft und das Buch „Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus“ bieten mutige Gegenentwürfe zum herrschenden Wohlstandsverständnis. Das Buch zum Forschungsprojekt mit dem Titel „Gewerkschaften in der sozial-ökologischen Transformation“ erscheint im ÖGB-Verlag. (il)
Eckdaten zum Projekt
- Titel: Trafo-Labor - Die Rolle von Gewerkschaften und ArbeitnehmerInnen-Interessen bei der Gestaltung einer sozial-ökologischen Gesellschaft
- Zeitraum: März 2014 - September 2017
- Beteiligte: Ulrich Brand (Projektleitung), Kathrin Niedermoser - Universität Wien | Hubert Eichmann - Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA) | Beate Littig, Astrid Segert - Institut für Höhere Studien (IHS) | Michael Soder, Sigrid Stagl - Wirtschaftsuniversität Wien
- KooperationspartnerInnen: Arbeiterkammer Wien | Arbeitsförderinstitut – öffentliche Körperschaft für Forschung, Bildung und Information (AFI-IPL) | Gewerkschaft Bau-Holz | Gewerkschaft PRO-GE | Gewerkschaft vida | Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung
- Institut: Institut für Politikwissenschaft
- Finanzierung: Österreichischen Klima- und Energiefonds (KLIEN)