Fertigungshalle mit  hunderten gelben Roboterarmen dicht nebeneinander, alles sieht gleich und regelmäßig angeordnet aus, keine Menschen zu sehen.

Automobil-Fertigungswerk in Sterling Heights, Michigan (USA). Quelle: flickr.com, FCA: Corporate / CC-BY-NC-ND

Schuhe aus dem 3D-Drucker?

Wie die Automatisierung Arbeitsverhältnisse in Entwicklungsländern vor neue Herausforderungen stellt

Überblick

  • Automatisierung und künstliche Intelligenz (KI) sind in der Lage, globale Produktionsketten neu zu strukturieren.
  • Sie stellen besonders jene Länder vor neue Herausforderungen, deren Wirtschaft von einfacher, physischer Arbeit geprägt wird – das trifft vor allem auf Entwicklungsländer zu.
  • In einem viel beachteten Paper widmet sich der Politikwissenschafter Lukas Schlögl dem Thema Automatisierung und seinen Begleiterscheinungen und Auswirkungen auf die Zukunft der Arbeit in globaler Perspektive.

Können Roboter den Menschen demnächst zur Gänze ersetzen? Diese und ähnliche Szenarien geistern derzeit durch die Medien – nicht zuletzt inspiriert durch populäre Science-Fiction-TV-Formate wie „Black Mirror“ oder „Westworld“. Tatsächlich sind die Auswirkungen des technologischen Wandels profaner – und dennoch mit weitreichenden globalen Umwälzungen verbunden.

Konkrete Beispiele für die Folgen des technologischen Wandels erörterte Lukas Schlögl vom Institut für Politikwissenschaft in einem Interview für die Societal Impact Plattform. Als Universitätsassistent im Bereich Vergleichende Politikfeldanalyse beschäftigt er sich mit den politischen Folgen von Automatisierung und dem damit verbundenen wirtschaftlichen Strukturwandel. Als Autor (gemeinsam mit Andy Sumner, King’s College London) des viel beachteten Papers „The Rise of the Robot Reserve Army“ beschreibt er das Phänomen des ‚Reshoring‘ als eine der maßgeblichsten globalen Konsequenzen der Automatisierung.

Vom Offshoring zum Reshoring

Das Offshoring-Phänomen ist aus dem Kontext der Globalisierung wohlbekannt: Es beschreibt einen Vorgang, in dem Firmen ihre Produktion in Länder mit günstigeren Arbeitskräften und geringer Steuerlast verlagern. Ausgelöst durch technologische Errungenschaften im Bereich der Robotik und der künstlichen Intelligenz wird nun möglichweise eine Art Gegenkurs eingeschlagen: das sogenannte Reshoring. Dabei wandert die Produktion zurück in Wohlstands- und Industrieländer mit hohem technischem Know-how, in denen mit wenig Personal und neuer Technologie – wie dem 3D-Druck – Produkte gefertigt werden können. „Zurzeit wird viel darangesetzt, Maschinen und Technologien zu entwickeln, die in Zukunft in der Lage sind, z.B. NäherInnen zu ersetzen und den Textilfertigungsprozess zu automatisieren“, so Schlögl.

Schuhe aus dem 3D-Drucker

In Bayern gibt es bereits ein Werk des Sportartikelherstellers Adidas, welches mithilfe von 3D-Druckern mit geringem Personaleinsatz Schuhe herstellt. Das Ziel des Unternehmens ist es, bis Ende 2020 in zwei neuen „speed factories“ rund 100 Millionen Schuhe zu produzieren. In Anbetracht der rasanten technologischen Entwicklung ist es nur eine Frage der Zeit, bis ganze Industrien nachziehen und in den derzeit produzierenden Ländern ein Vakuum hinterlassen werden, das es zu füllen gilt.

Globale Strukturveränderungen

Laut Schlögl könnte Reshoring dazu führen, dass in Entwicklungsländern ganze Industriezweige samt damit verbundener Arbeitsplätze wegfallen und sich dadurch zwangsläufig die Wirtschaftsstruktur verändert. Dies bedeutet jedoch nicht automatisch technologische Arbeitslosigkeit. Vielmehr wächst der Dienstleistungssektor in einem bisher nicht gesehenen Ausmaß – ein Phänomen, das im Kontext von Entwicklungsländern als „verfrühte Deindustrialisierung“ bezeichnet wird. Die betroffene Erwerbsbevölkerung weicht aus auf Tätigkeiten beispielsweise im Tourismus, im Transportwesen, im Bau oder im Einzelhandel.

Maschinenpolitik zwischen „Coping“ und „Containment“

Automatisierung stellt die Weltgemeinschaft vor neue ethische Fragen. Es gilt zu untersuchen, welche sozioökonomischen Auswirkungen Reshoring und Deindustrialisierung in den nächsten Jahren haben werden und Handlungsspielraum für die Politik zu schaffen. Derzeit dominieren zwei Zugänge:

 „Coping-Strategien“ zielen einerseits darauf ab, den technologisch induzierten Strukturwandel walten zu lassen, während entweder versucht wird, Arbeitsmarktverwerfungen gering zu halten (Stichwort „Weiterqualifizierung“) oder durch soziale Sicherungsnetze zu entschärfen. „McKinsey schätzt, dass sich in Ländern wie Indonesien die Hälfte der Arbeitskräfte mit bereits existierenden Technologien ersetzen lassen. Vor diesem Hintergrund erscheinen Upskilling-Strategien besonders in Ländern mit sehr schwacher Bildungsinfrastruktur unrealistisch“, so Schlögl. Auch Postindustrialisierungsstrategien, die einen produktiven Dienstleistungssektor etwa im Tourismus oder im IT-Sektor aufbauen, werden diskutiert, wobei umstritten ist, wie zielführend und nachhaltig diese sind. Andererseits setzen Umverteilungsmaßnahmen wie ein bedingungsloses Grundeinkommen und ähnliche sozialpolitische Maßnahmen eine hohe Steuerkapazität voraus, die in vielen Entwicklungsländern nicht gegeben ist.

Robotersteuer und Neo-Luddismus

Den Coping-Strategien gegenüber stehen Strategien des „Containment“: der Eindämmung oder Entschleunigung des technologischen Wandels.  Die viel diskutierte „Robotersteuer“ fällt in diese Kategorie, aber auch regulative Eingriffe, die den Einsatz von Technologien erschweren. Ob solche Strategien sozial wünschenswert – und für offene Volkswirtschaften in einem global integrierten Wirtschaftssystem überhaupt machbar – sind, ist fraglich. Zweifellos könnte aber politischer Druck in Richtung eines technologiefeindlichen „Neo-Luddismus“ entstehen, meint Schlögl.

Zurückgehend auf die Luddites – englische TextilarbeiterInnen, die im frühen 19. Jahrhundert gegen die Einführung von Maschinen und somit gegen die industrielle Revolution demonstrierten – bündelt sich unter dem Neo-Luddismus die Ansicht, dass unser auf Technologie basierender Lebensstil die Menschheit in den Abgrund führen wird.

Kapital statt Arbeit besteuern

Die Debatte über die Rolle der menschlichen Arbeit im Kontext der Maschinisierung wird laut Schlögl bereits seit über zweihundert Jahren geführt. „Das fundamentale Problem des technologischen Wandels ist nicht die Arbeitslosigkeit, sondern die politische Steuerung: Wie werden die Früchte des Fortschritts verteilt?“, so Schlögl. Gängige Wirtschafts- und Entwicklungstheorien basieren häufig auf der Annahme, dass vom Wirtschaftswachstum letztlich alle profitieren, dass der Wohlstand „nach unten sickert“. Diese Annahme hält im Zeitalter der Automatisierung immer weniger.

„Vom technologischen Fortschritt müssen allerdings breite Schichten profitieren – schon allein deshalb, um eine anti-technologische Gegenbewegung zu verhindern“, gibt der Politikwissenschafter zu bedenken. „Derzeit lastet eine überproportionale Steuerlast auf dem Faktor Arbeit, Kapital wird hingegen viel weniger stark besteuert. Hier muss man ansetzen.“

Durch Blogs und Workshops Bewusstsein schaffen

Um diese Ansätze als Impulse an die Politik zu kommunizieren, setzt Schlögl vor allem auf die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen und mit der Zivilgesellschaft. Als Mitglied des Global Poverty and Inequality Dynamics Networks schreibt der Forscher regelmäßig zur Thematik, auch auf dem Oxfam Blog hat er breitenwirksam publiziert. In einem gemeinsamen Workshop mit der Industrieentwicklungsorganisation UNIDO wird das Thema im September in Wien vertieft.

Damit die Erkenntnisse in konkrete politische Maßnahmen umgesetzt werden, müssen noch viele Hürden genommen werden. Ob sich Szenarien aus „Black Mirror“ oder „Westworld“ jemals realisieren, steht derzeit in den Sternen. (il)