Drei Kinder stehen inmitten einer Reihe von Kartonfiguren und halten Sprechblasen mit verschiedenen Sätzen über deren Köpfe.

© Making Democracy

Demokratie im Schulalltag

Überblick

  • Das Projekt „Making Democracy“ untersucht alltägliche Aushandlungsformen demokratischer Grundwerte (Freiheit, Gleichheit, Solidarität) durch Jugendliche.
  • Perspektiven der Demokratietheorie werden dabei mit jenen der kritischen Kunstvermittlung und Sozialwissenschaft verschränkt.
  • „Making Democracy“ ist ein Sparkling-Science-Projekt: Jugendliche werden in den Wissenschaftsprozess eingebunden und bringen ihre Perspektive als Co-Forschende ein.

Was ist Demokratie? Und wie werden demokratische Werte im Alltag von Jugendlichen ausverhandelt? Diesen Fragen widmet sich das partizipative Projekt „Making Democracy“, in dem Schüler_innen an der Seite von Politikwissenschafter_innen und Kunstschaffenden forschen.

Demokratie „passiert“ nicht nur im Parlament. Demokratische Grundwerte wie Freiheit, Gleichheit und Solidarität werden auch außerhalb des politischen Systems geformt, definiert und verändert. Das partizipative Forschungsprojekt „Making Democracy“ beleuchtet den alltagskulturellen Aushandlungsraum von Demokratie und holt dazu Jugendliche als Co-Forscher_innen an Bord: „Es geht darum, gemeinsam mit Schüler_innen zu erörtern, wie Demokratie in ihrer Lebenswelt gestaltet wird und ihnen dadurch ihre eigene Rolle im demokratischen Prozess bewusst zu machen“, erklärt Nora Landkammer, Kunstvermittlerin und Mitarbeiterin in „Making Democracy“.

Demokratieforschung in einem demokratischen Forschungssetting

Über zwei Schuljahre hinweg haben die Forscher_innen vom Institut für Politikwissenschaft mit Schüler_innengruppen der siebten bzw. elften Schulstufe des WMS/RG/ORG Anton-Krieger-Gasse im 23. Wiener Gemeindebezirk zusammengearbeitet. Zum Projektauftakt wurden grundsätzliche Fragen rund um Demokratie aufgeworfen und die Jugendlichen eingeladen, sich dazu in Beziehung zu setzen. „Die Schüler_innen haben daraufhin eigene Fragestellungen entwickelt, diese in Kleingruppen beforscht und am Ende in einem öffentlichen Rahmen präsentiert – damit ihre Themen die nötige Sichtbarkeit bekommen“, berichtet Politikwissenschafterin Elke Rajal.

Das Projekt sah von Beginn an eine Verschränkung von sozialwissenschaftlichen Methoden und künstlerischen Medien vor: Die Schüler_innen konnten mit Befragungen, Interviews oder Beobachtungen experimentieren und ihre Ergebnisse in Comics, Interventionen, Theaterstücken oder Audiokunst ausdrücken. „Wir wollten die Jugendlichen zum künstlerischen Forschen ermutigen. Das beinhaltet auch, die Ergebnisse laufend zu reflektieren und bis zum Schluss in der Gruppe zu verhandeln“, so Elka Rajal, die bereits mehrere Forschungsprojekte an Schulen umgesetzt hat. Die Wissenschafter_innen vom Institut für Politikwissenschaft arbeiteten im Projekt eng mit trafo.K – Büro für Kunstvermittlung und kritische Wissensproduktion zusammen und wurden von diverCITYLAB – PERFORMANCE- und THEATERlabor sowie der Künstlerin und Comic-Zeichnerin Ka Schmitz unterstützt.

Einblicke in die Fragestellungen der Schüler_innen

Eine Schüler_innengruppe hat sich ausgehend von einem Ausstellungsbesuch mit Formen der Digitalisierung auseinandergesetzt und ausgelotet, ob die damit verbundenen Möglichkeiten mehr Gestaltungsraum geben oder eher einschränken. Eine andere Kleingruppe forschte zur Freiheit bzw. Unfreiheit in der Schule. Die Jugendlichen sperrten das Schultor mit Baustellenband ab und ließen die vorbeigehenden Mitschüler_innen ihre Gefühle auf einer Skala verorten. Die Institution Schule wurde im Projekt gleich mehrfach zum Gegenstand der Reflexion: „Viele Schüler_innen übten Kritik an der Pseudopartizipation im Schulalltag. Im Englischunterricht kann beispielsweise nur zwischen verschiedenen Klassikern der Literatur gewählt werden; es könnten aber auch ganz andere Bücher gelesen und bei deren Auswahl könnten andere Formen von Mitgestaltung erprobt werden“, berichten die Forscher_innen.

In gemeinsamen Feedbackrunden kam heraus, dass sich durch das Projekt insbesondere bei den jüngeren Schüler_innen der Blick auf Forschung verändert hat: „Sie haben Forschung als eine Form der Selbstermächtigung erlebt, als etwas, an dem sie teilhaben können und das nicht nur an der Universität stattfindet.“ Stark in die Wahrnehmung der Schüler_innen eingeschrieben hat sich auch, dass Forschen etwas Kollektives und manchmal auch Konfliktives sein kann.

Wer beforscht was?

Jene Menschen, deren Lebenssituation und -strukturen im Fokus der Forschung stehen, werden in den Prozess miteinbezogen; die Mitwirkung unterschiedlicher Gruppen hilft dabei, das soziale Umfeld besser zu verstehen – so die Grundidee von partizipativer Forschung. In „Making Democracy“ bedeutete dies, dass die Schüler_innen unter dem großen Thema Alltagsdemokratie ihre eigenen Fragestellungen definierten. „Das bringt uns Wissenschafter_innen in die Rolle der Begleiter_innen“, so Nora Landkammer: „Doch nur diese Ebene zu sehen, wäre zu kurz gegriffen. Die Prozesse, Zusammenarbeit und Resultate der Jugendlichen werden letztendlich unter unseren wissenschaftlichen Fragestellungen ausgewertet, die einen Beitrag zur Demokratieforschung liefern sollen. Das Forschende-Beforschte-Verhältnis schleicht sich sozusagen durch die Hintertür doch wieder rein.“

Buchover, obere Hälfte hellblauer Grund, untere hälfte weis. Titel umgekehrt eingefärbt: Making Democracy - Aushandlungen von Freiheit, Gleichheit und Solidarität im Alltag

Die Publikation zum Projekt erscheint im Jahr 2020 im transcript Verlag © Making Democracy/transcript

Adressat_innen von Wissen mehrfach denken

„Ziel des Projekts war einerseits die Stärkung der demokratischen Einstellungen der Jugendlichen. Als Co-Forscher_innen waren sie aber zugleich wesentlich daran beteiligt, Wissen zu produzieren“, pflichtet Elke Rajal bei. „Adressat_innen von diesem Wissen waren nicht nur wir als Wissenschafter_innen, sondern auch weitere Personen, die in Politik, Kunst sowie Bildung oder an den Schnittstellen tätig sind.“

Im Rahmen einer Tagung, die im Mai 2019 im Volkskundemuseum Wien stattfand, wurde dieses vielfältige Wissen zur Diskussion gestellt: Forscher_innen und Personen aus der Praxis mit verschiedenen Erfahrungen und Expertisen beleuchteten Alltagsdemokratie; ein Rundgang durch den Vermittlungs- und Forschungsprozess von „Making Democracy“ ergänzte das Programm. Die wissenschaftliche Publikation zum Projekt erscheint noch diesen Winter.

Neben einem „praktischen“ Beitrag zur Demokratieforschung soll das Projekt aber vor allem eines leisten: Die Auseinandersetzung mit demokratischen Grundnormen anregen und den Jugendlichen vor Augen führen, dass Demokratie etwas ist, das von allen mitgestaltet wird. (hm)

Eckdaten zum Projekt

  • Titel: „Making Democracy“
  • Laufzeit: 09/2017–10/2019
  • Beteiligte und Partner_innen: Oliver Marchart (Projektleiter), Elke Rajal, Nora Landkammer, Ines Garnitschnig, Carina Maier (Institut für Politikwissenschaft); Renate Höllwart und Elke Smodics (trafo.K – Büro für Kunstvermittlung und kritische Wissensproduktion); Nora Sternfeld (Beratung); Aslı Kışlal und Anna Schober (diverCITYLAB – PERFORMANCE- und THEATERlabor); Ka Schmitz (Künstlerin und Comic-Zeichnerin), die Schüler_innen der 3a, der 3b (Schuljahr 2017/18) und der 7b (Schuljahr 2018/19) sowie die Lehrer_innen Ernst Auer, Josef Eder, Robert Fröhlich, Simone Hofer, Marc Michael Moser, Marco Ploner, Georg Rakowitz, Stefanie Schermann, Beate Wallner, Olaf Winnecke und Verena Zangerle der Wiener Mittelschule (WMS) bzw. des Oberstufenrealgymnasiums (RG/ORG) Anton-Krieger-Gasse (1230 Wien)
  • Institut: Institut für Politikwissenschaft
  • Finanzierung: Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF), Förderprogramm Sparkling Science

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