Ein Brettspiel mit drei Hütchen (rot, blau grün) im Vordergrund auf deine weißen Spielbrett mit gelben Feldern. Eine Kinderhand greift ins Spiel, vom nebem den Brett knieenden Kind sieht man nur einen rot besockten Fuß.

© SMiLE

Trennung: „Jetzt fühle ich mich leicht wie eine Maus“

Überblick

  • Elterliche Scheidung ist für Volksschulkinder ein großes Thema, dennoch gibt es kaum Forschung zur Frage, wie Gleichaltrige darüber untereinander kommunizieren.
  • Gemeinsam mit 60 VolksschülerInnen erarbeitete das „SMiLE“-Projekt die Grundlage für Materialien, die Kindern helfen, mit diesem Thema gut umzugehen.
  • Mit einer Auflage von rund 17.000 Stück informiert die Broschüre „Wenn Eltern sich trennen“ Kinder zum Thema Scheidung, diverse Unterrichtsmaterialien stellt das Projekt für LehrerInnen und PädagogInnen bereit.

„Scheidung ist im Gesetz verboten, wenn die Kinder jünger als acht sind, habt ihr das gewusst?“, fragt ein Mädchen in der Straßenbahn in die Runde. Die Schulkolleginnen wussten es nicht, was nicht verwundert, ist diese Aussage doch faktisch falsch. Was diese Alltagsbeobachtung der Soziologin Ulrike Zartler jedoch zeigt: Ungeachtet der Frage, ob ein Kind eine elterliche Trennung erlebt hat oder nicht, spielt das Thema Scheidung für Kinder eine große Rolle. Mit Ängsten und Unsicherheiten besetzt, ranken sich in den Köpfen der Kinder viele Mythen und Fehlinformationen um die Thematik. Diesem bisher wenig erforschten Thema ging die Soziologin mit ihrem Team im Rahmen eines Sparkling-Science-Projekts weiter auf den Grund. Gemeinsam mit vier Schulklassen aus Tirol und Wien wurden unterschiedliche Vorstellungen von Scheidung, die Kinder haben, visualisiert und in einem zweiten Schritt zu Materialien verarbeitet, die den Betroffenen helfen, das Thema gut zu bewältigen.

20 Prozent aller österreichischen Kinder erleben bis zu ihrem 18. Lebensjahr die Scheidung ihrer Eltern. Dieser Wert erhöht sich auf 30 Prozent, wenn auch Trennungen – und nicht nur offizielle Ehescheidungen – inkludiert werden. Faktisch sind jedoch alle Kinder vom Thema betroffen, ist die Wahrscheinlichkeit doch sehr hoch, dass ein Kind im näheren Umfeld eine Trennung miterlebt – sei es nun der Mannschaftskamerad aus dem Sportverein, eine Klassenkollegin oder die Cousine. „Kinder haben ganz eigene Konzepte und Vorstellungen – das gilt auch für das Thema Scheidung“, erklärt Soziologin Ulrike Zartler, Leiterin des Projekts „SMiLE – Scheidung mit Illustrationen erforschen“. „Eine immer wiederkehrende Vorstellung ist zum Beispiel, dass die Kinder ins Heim kommen, wenn sich die Eltern bei einer Trennung nicht einig werden“, so Zartler. „Fairness für die Eltern hat aus Sicht der Kinder höchste Priorität.“ Um zu lernen, wie man solchen Ängsten und (falschen) Vorstellungen begegnen kann, wurden im Rahmen des Projekts 60 Volksschulkinder gemeinsam mit Zartlers Team in über 100 Forschungsstunden zu ScheidungsexpertInnen.

Kinder geben sich oft die Schuld

„Je transparenter und plastischer ein Thema konzeptualisiert ist, desto geringer sind die Angst und das Risiko, bestehende Ängste durch überzeichnete Vorstellungen zu verstärken“, erklärt Soziologin und Bildungswissenschafterin Raphaela Kogler. Gemeinsam mit Marlies Zuccato-Doutlik, Soziologin und Graphikerin, vervollständigt sie das Team. In insgesamt 16 Forschungswerkstätten und mittels 22 unterschiedlicher methodischer und didaktischer Zugänge erkundeten die Kinder gemeinsam mit den Forscherinnen verschiedene Interpretationen des Themas Scheidung. Sie legten damit spielerisch die Grundlage für sensibilisierendes Unterrichtsmaterial. Dieses soll in weiterer Folge anderen Kindern helfen, einen angstfreien Zugang zum Thema zu finden. „Kinder geben sich oft die Schuld an der Trennung, denn oft waren vor einer Trennung Streitigkeiten über die Kinder an der Tagesordnung“, weiß Kogler.

Comic mit zwei Kindern die einander zugewandt sind jedes mit einer leeren Sprechblase auf weißem Grund.

„Concept Cartoon“ © SMiLE

Ein Ball kann keine Schuld tragen

Um die unterschiedlichen Vorstellungen anschaulich zu visualisieren, griff das Team öfter auf Illustrationen zurück: „Bezüglich der Schuldfrage haben wir uns zum Beispiel einer Ballmetapher bedient. Wenn sich zwei Kinder um einen Ball streiten, kann dann der Ball an dem Streit schuld sein?“, fragt Kogler rhetorisch. „Nein – und das erkennen auch die Kinder sofort. Das Thema wird so erklärbar und Ängste schrumpfen.“ Eine zentrale Methode in dem „Most Different Cases“-Design des Projekts sind die sogenannten „Concept Cartoons“: Die Soziologinnen adaptierten diese aus der naturwissenschaftlichen Didaktik stammende Methode eigens für das „SMiLE“-Projekt und brachten so den Reflexionsball ins Rollen. „Concept Cartoons stellen bildlich ein konkretes Thema in den Mittelpunkt, um das gezeichnete Comic-Kinder gruppiert sind und unterschiedliche Meinungen und Zugänge artikulieren“, so Zartler. „Über diese Perspektiven, Ansichten oder Ideen wird dann gemeinsam diskutiert. Es geht nicht darum, eine einzige ‚richtige‘ Antwort zu identifizieren, sondern darum, Diskussionen anzuregen und den Blick für unterschiedliche Standpunkte und Argumente zu öffnen.“

Das Thema Trennung positiv besetzen

Die Methode der Concept Cartoons eröffnete den Kindern eine Abstraktionsebene, auf der sie sich dem Thema mit sicherem Abstand nähern können. „Es war uns sehr wichtig, dass kein Kind dazu aufgefordert wird, persönliche Dinge preiszugeben“, erklärt Zartler. „Die Kinder können so aus Sicht der Comic-Kinder sprechen und einen konkreten, aber sicheren Zugang zum Thema einnehmen.“ Die Methode wurde von den Kindern so gut aufgenommen, dass sie gegen Ende des Projekts auch selbst zum Buntstift griffen und eigene Cartoons entwarfen.

Ähnlich funktioniert das Assoziations-Bilderspiel, mit dem zu Themen wie Trennung oder Streit auch positive Zugänge geschaffen wurden. „So kann man sich zum Beispiel von einer Krankheit trennen oder von einer zu kleinen Jacke“, so Zartler. Trennung muss nicht immer negativ besetzt sein. Als absoluter Renner stellte sich das eigens entworfene SMiLE-Würfelspiel heraus, das die Kinder mit Fragekärtchen zu Interaktionen animierte. „Hier haben die Kinder auch selbst Karten entworfen und so das Spiel vervollständigt“, fügt Kogler hinzu.

Um den Kindern möglichst viele Anknüpfungspunkte zum Thema zu bieten, konzipierte das Team weitere Elemente: So gab es z.B. den Zipp-Smiley, in dessen Reißverschlusstäschchen Fragen an das Forschungsteam oder Feedback zum Projekt Platz fanden, den Rede-Smiley und auch das Smiley-Ohr, das transparent und für alle sichtbar Audioaufnahmen für die Projektdokumentation gemacht hat.

Mit anstatt über Kinder forschen

Ein großes Selbstverständnis, das sich wie ein roter Faden durchs Projekt zog, war das Forschen auf Augenhöhe. „Es war von Anfang an klar, dass wir mit den Kindern forschen – schließlich sind sie ja die ExpertInnen“, so Kogler. So war die Mitarbeit für alle Kinder freiwillig, obwohl die Forschung im Rahmen des Unterrichts stattfand. Die SchülerInnen haben genauso wie die Eltern eine Einverständniserklärung unterschrieben, haben Forschungsausweise bekommen und wurden immer über die nächsten Schritte im Forschungsprozess informiert. „Wir waren jedoch überrascht, wie wertschätzend es von den Kindern aufgenommen wurde, wenn auf eine von ihnen gestellte Frage ein ehrliches Interesse an der Antwort bestand“, so Zartler. „Normalerweise, gerade im Schulsetting, wissen es die Erwachsenen stets besser und eine Frage wird meist mit dem Ziel gestellt, das Wissen der Kinder zu testen, anstatt das eigene Wissen zu erweitern.“

Die vier Klassen aus Wien (Bundesland mit der höchsten Scheidungsrate) und Tirol (niedrigste Scheidungsrate Österreichs) entpuppten sich zudem als Sampling-Glücksgriff: Mit genau 50 Prozent Mädchen und Jungen und insgesamt 25 Prozent Scheidungskindern hätten die Soziologinnen kaum ein besseres Sample finden können.

Impaktbarometer: Mit 17.140 Broschüren das Wissen zurückspielen

Die Kombination aus wissenschaftlich-methodischer Innovation, partizipativer Forschung und intensiver Verbreitung der Forschungsergebnisse war für das Projekt der Schlüssel zum Erfolg. Gemeinsam konnte das Team so Methoden, Materialien und auch eine Broschüre erarbeiten, die auch tatsächlich die Ängste, Konzepte und Sprache des Volksschuluniversums adressieren. „Es war natürlich ein großer Vorteil, mit Raphaela Kogler und Marlies Zuccato-Doutlik eine Bildungsexpertin und eine Graphikerin mit an Bord zu haben“, fügte Zartler hinzu. „So konnten wir die Materialien inhaltlich und auch optisch entsprechend aufbereiten.“ Die Broschüre „Wenn Eltern sich trennen“ richtet sich direkt an Kinder und Angehörige und liegt mit einer Auflage von über 17.000 Stück in Bezirksgerichten, Volksschulen, bei der Familiengerichtshilfe, Schulpsychologie und zahlreichen Beratungsstellen auf. Auf der Projektwebsite lassen sich neben der Broschüre zudem fünf Pakete mit insgesamt 51 Seiten an Unterrichtsmaterialien herunterladen – das Portfolio reicht hier von Kurzgeschichten über die porträtierten Interaktionsspiele bis zu konkreten Situationsbeschreibungen.

Den vielleicht größten Impakt hinterlässt das Projekt jedoch bei den 60 JungforscherInnen. So erinnert sich Zartler z.B. an ein konkretes Zitat aus einer Forschungswerkstatt: „Das SMiLE-Projekt war toll: Am Anfang habe ich mich bei dem Thema so schwer gefühlt wie ein Elefant. Aber jetzt, jetzt fühle ich mich leicht wie eine Maus.“ (il)

Eckdaten zum Projekt

  • Titel: „SMiLE – Scheidung mit Illustrationen erforschen“
  • Laufzeit: 09/2017–10/2019
  • Beteiligte und PartnerInnen: Ulrike Zartler, Raphaela Kogler, Marlies Zuccato-Doutlik
  • Institut: Institut für Soziologie
  • Finanzierung: Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF), Förderprogramm Sparkling Science
  • Kooperationen: Volksschule Seefeld in Tirol | Volksschule Kolonitzgasse in Wien

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